Von Kröten, Mäusen und Piepen – Naturschutz auf Tuchfühlung mit der Finanzwelt

Von Kröten, Mäusen und Piepen – Naturschutz auf Tuchfühlung mit der Finanzwelt

  • “50 % der Weltwirtschaft sind durch den Verlust der biologischen Vielfalt bedroht.” 
  • “Weil Wale wichtige Verbündete im Klimaschutz sind, übersteigt ihr Nutzen bei Weitem die Kosten sie zu schützen.”  
  • “Ein Zusammenbruch wichtiger Ökosystemdienstleistungen wie der Bestäubung von Nahrungspflanzen, der Bereitstellung von Nahrungsmitteln aus der Meeresfischerei oder der von Holz aus Wäldern würde zu einem Rückgang des globalen Bruttoinlandsprodukts von 2,7 Billionen Dollar bis 2030 führen.” 

Diese Aussagen stammen nicht von Umweltverbänden, sondern der Spitze der globalen Finanzwirtschaft: dem World Economic Forum, dem International Monetary Fund und der Weltbank. Sie zeigen, dass Naturschutz längst in den Köpfen vieler Unternehmensvorstände und in der Finanzwelt angekommen ist. Nimmt die Naturschutz-Community dies bislang zu wenig zur Kenntnis? 

Um Naturschutz und Finanzwirtschaft „auf Arbeitsebene“ zusammenzubringen, fand vom 2. bis 6 Mai das erste European Conservation Finance Boot Camp in Capalbio, Italien statt. Die Veranstaltung wurde von Eurosite, dem Conservation Finance Network und dem NABU Bundesverband im Rahmen des LIFE-Projekts „European Networks for Private Land Conservation“ durchgeführt. Gastgeber war der WWF Italien.

30 Teilnehmende vor Ort und zusätzliche Referent*innen online aus Naturschutz, Stiftungswesen, Investmentberatung, Projektentwicklung, Grundeigentum, Landnutzung und Behörden erörterten im dreieinhalbtägigen Boot Camp die neuesten Entwicklungen im Bereich Naturschutzfinanzierung, mit einem Schwerpunkt auf privaten gewinnorientierten Investitionen. Die hochrangige Zusammensetzung der Referent*innen umfasste Peter Stein (Lyme Timber), Peter Howell (Conservation Finance Network), Victoria Marles (Australian Land Conservation Alliance), Rob Wilson (Nature Conservancy of Canada), Eric Letsinger (Quantified Ventures), Elizabeth Beall (finance.earth), Alessia Lenders (Sustainable Land Management) und viele weitere.

 

Publikum beim European Conservation Finance Boot Camp

Teilnehmende des European Conservation Finance Boot Camp lauschen aufmerksam den Vortragenden (Bildautor: Andrea Benedetti)

Einige Schlüsse lassen sich aus dem intensiven und inspirierenden Treffen ziehen: 

  1. Private Investitionen sind im Naturschutz unverzichtbar, um die globale Finanzierungslücke von rund 700 Mrd. $/Jahr zu schließen. Dieser Umstand ist international Konsens (und wird so auch im Globalen Biodiversitätsabkommen benannt, das im Dezember 2022 in Montreal von der globalen Staatengemeinschaft verabschiedet wurde. Diverse Regionen außerhalb Europas sind bei der Entwicklung und Umsetzung profitortentierter Naturschutzprojekte viel weiter als wir es hierzulande sind. Privates Investment finanziert bereits heute Projekte in einer Größenordnung, an die wir in Deutschland nicht mal denken.  
  2. Eine steigende Anzahl an Investoren (insb. europäische Versicherungen, Banken, Pensionsfonds, Family Wealth Offices) ist auf der Suche nach naturbasierten, biodiversitäts-positiven Projekten mit return on investment. Fündig werden sie bislang überwiegend außerhalb Europas, während der hiesige Naturschutz wenig anlagebereite Projekte bereithält. 
  3. Vorteile von gewinnorientierten Investitionen in Naturschutz, die ggf. auch für den deutschen Naturschutz wichtig werden können, sind u.a. 
    • Sie ermöglichen oft eine Handlungsschnelligkeit und ein Volumen, die öffentliche oder gemeinnützige Mittel nicht bieten können. 
    • Sie entwickeln und demonstrieren Geschäftsmodelle, die sich über ihren Profit refinanzieren und so Projekte reproduzierbar und skalierbar machen. 
    • Sie bieten Hebel für öffentliche und gemeinnützige Förderungen, was politisch opportun ist (Entlastung der öffentlichen Haushalte) und daher in öffentlichen Förderprogrammen häufig priorisiert wird. 
Whiteboard mit Themensammlung

Die Autorin notiert relevante Themen aus dem Publikum (Bildautor: Andrea Benedetti)

Es ist zu konstatieren, dass der NABU – stellvertretend für die deutsche Naturschutzszene – zu vielen ethischen Fragen und praktischen Aspekten des gewinnorientierten Naturschutzes potenziell wichtige Beiträge liefern kann, aber gerade erst beginnt, sich mit diesem Thema zu befassen. Ein Beispiel: In England und anderen Ländern wird derzeit die Einführung von „biodiversity credits“ geplant bzw. diskutiert, also Methoden und Verfahren zur Quantifizierung und Monetarisierung der biologischen Vielfalt und von Maßnahmen zur Zustandsverbesserung derselben. Damit sollen Biodiversitätsaufwertungen oder der Erhalt eines besonderen Artenreichtums an verschiedenen Orten, zu verschiedenen Zeiten und über verschiedene Arten und Taxa hinweg miteinander vergleichbar, vereinheitlicht und die sie repräsentierenden „credits“ handelbar gemacht werden. Vieles daran erinnert an die Logik der deutschen Eingriffsregelung und an die damit verbundenen methodischen Ansätze zur Berechnung von Schaden und Kompensationsbedarf. Ein wichtiger Unterschied: biodiversity credits sollen explizit nicht nur für ordnungsrechtlich gebotenen Naturschadensausgleich (wie in der Eingriffsregelung) generiert werden, sondern um netto-positive Naturschutzmaßnahmen in Wert zu setzen bzw. die Verhinderung legaler, aber ungewünschter Schäden zu finanzieren. Insofern dienen sie als Instrument, freiwillige Naturschutzleistungen messbar und handelbar zu machen. 

Die deutschen Naturschutzverbände standen der Einführung der Eingriffsregelung seinerzeit sehr skeptisch gegenüber. Heute verteidigen wir sie – bei aller berechtigter Kritik an ihrem mangelhaften Vollzug – als eine der großen Errungenschaften im deutschen Naturschutzrecht. Ähnlich wie auch bei der Entwicklung von „carbon credits“ geht es bei den „biodiversity credits“ eher um das Wie als das Ob – die Entwicklung ist im vollen Gange. Daher sollten ihr Ambitionsniveau, ihr naturschutzfachlicher Anwendungsbereich und Fragen zu Transparenz, sozialer Gerechtigkeit, technischer Machbarkeit und politischer Steuerung von den Umweltverbänden kritisch und aktiv begleitet werden, sonst „regelt es der Markt“ ohne uns. 

Ein zweites Beispiel: Getrieben von der Nachfrage internationaler Unternehmen und der gesetzgeberischen bzw. standardsetzenden Tätigkeit internationaler Gremien (EU Corporate Sustainability Reporting Directive, Standards des International Standard Setting Boards, Taskforce on Nature-related Financial Disclosures) wird die Bilanzierung und Berichterstattung über die Biodiversitätseffekte wirtschaftlichen Handelns sowie die Quantifizierung von Risiken im Zusammenhang mit dem Verlust an biologischer Vielfalt immer wichtiger. Der NABU hat kürzlich eine detaillierte fachliche Einordnung der dafür in Entwicklung befindlichen Methoden und Verfahren vorgelegt – Marktakteure finden jedoch weiterhin zu wenig kompetente Ansprechpersonen im NGO-Bereich.

Klar ist: Soll die bestehende Finanzierungslücke im Naturschutz geschlossen werden, müssen auch die Naturschutzverbände nacharbeiten. Öffentliche Förderprogramme alleine werden nicht ausreichen, es braucht auch die Privaten. Soll die Politik dafür die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, setzt das eine klare Haltung unsererseits und eine aktive Beteiligung in den politischen und gesellschaftlichen Debatten voraus. Ein engerer interdisziplinärer Austausch zwischen den Praktiker*innen und entsprechende Plattformen dafür (wie diese Veranstaltung) sind wichtige Bestandteile zur gemeinsamen Lösungsfindung.  

Das European Conservation Finance Boot Camp brachte aufgrund des ausgewogenen Verhältnisses der dort vertretenen Institutionen, der hervorragenden Begleitung und Vorbereitung durch internationale Experten (insb. Peter Howell und Peter Stein) und der intensiven Struktur alle Teilnehmenden dazu, sich offen miteinander und mit den Anliegen, angebotenen Möglichkeiten und globalen Herausforderungen in einer proaktiven und offenherzigen Weise auszutauschen.  

Alle Anwesenden waren sich einig, dass die bisher für Europa einzigartige Veranstaltung großes Potenzial für den Naturschutz hat und unbedingt wiederholt werden sollte. Eurosite und Conservation Finance Network prüfen derzeit die Voraussetzungen dafür und appellieren an die Politik, derartige Formate zu unterstützen und zu verstetigen.

Ronja Krebs und Dr. Tilmann Disselhoff – NABU Bundesverband

Abendlicher Austausch beim European Conservation Finance Boot Camp

Der Autor im abendlichen Austausch mit Max Hobhouse von RePLANET (Bildautor: Andrea Benedetti)

Dr. Tilmann Disselhoff

1 Kommentar

Paul

14.06.2023, 17:35

Natürlich bleib ich höflich und sage Ihnen, dass Ihre Bemühungen völlig zwecklos sind, die Monopole von ihrem Profitzwang zu befreien, ohne den Kapitalismus revolutionär gegen den echten Sozialismus zu ersetzen. („Echt“ heißt nicht wie im jetzigen Russland und in China)

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