Zerstörung des @UNESCO-Weltnaturerbes #Białowieża sofort stoppen! Mitteleuropas letzter Urwald wird abgeholzt https://t.co/qApTYRjO6S

— NABU e.V. (@NABU_de) 6. Juli 2017

Pandas, Wisente und Kettensägen

Updates zum Thema seit Erscheinen des Artikels am 13. Juli 2017:

28.Juli: Der Europäische Gerichtshof verhängt einen sofortigen Abholzungsstopp für Białowieża. Das ist erst die dritte derartige einstweilige Verfügung des EuGH im Naturschutz. Vor zehn Jahren traf es den gleichen Umweltminister im Fall des „Via Baltika“-Straßenbauprojekts.

19. Juli: In einem offenen Brief (Download hier) wendet sich NABU-Präsident Olaf Tschimpke an Bundeskanzlerin Angela Merkel mit der Bitte sich für die Rettung von Białowieża einzusetzen.

13. Juli: Die EU-Kommission verklagt Polen vor dem Europäischen Gerichtshof und beantragt eine einstweilige Verfügung gegen die Abholzung von Białowieża.


In den vergangenen Tagen stürzten sich Politik und Medien in Berlin auf den jüngsten Akt der chinesischen „Panda-Diplomatie“, im Rahmen des G-20-Treffens in Hamburg wurde auch das Thema Klimawandel diskutiert.  Außerhalb dieser Bühnen der Diplomatie geht das Sterben wertvoller Wälder weiter. Nicht nur in den Tropen, sondern auch mitten in Europa.

Foto: Helge May

Während selbst Kanzlerin Angela Merkel, die Presse ohnehin, im Berliner Zoo verzückt die chinesische Leihgabe bewundert, rattern im UNESCO-Weltnaturerbe Białowieża die Motorsägen. Und nicht nur dort. Um unseren Energiehunger zu stillen, wurden in Nordrhein-Westfalen bereits über 5000 Hektar wertvoller alter Laubwald mit 200-jährigen Eichen und Buchen, der Hambacher Forst, der Braunkohleförderung geopfert. Doch dieser Wald stand, politisch gewollt, nie unter Schutz. In Białowieża ist das anders. Er ist UNESCO-Weltnaturerbe, Nationalpark und seit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union auch Natura-2000-Gebiet, das dem Schutz der EU-Naturschutzrichtlinien unterliegt: Der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie und der Vogelschutzrichtlinie, den beiden Kernelementen des Naturschutzrechts in der EU.

Der etwa 1.500 Quadratkilometer große, einzigartige Urwald von Białowieża erstreckt  sich sowohl auf polnischer als auch auf weißrussischer Seite. Seit 1979 ist der Nationalpark Białowieża mit einer streng geschützten Kernzone von der UNESCO als Weltnaturerbe anerkannt. Die Wälder mit jahrhundertealten Baumbeständen sind Heimat von Luchs, Wolf, Elch und vielen anderen in Europa selten gewordenen Tier- und Pflanzenarten. Eine der größten Attraktionen – aber wesentlich schwieriger zu fotografieren als Pandas im Zoo – ist der Europäische Bison (Bison bonasus) oder Wisent.

Wisente durchstreiften bis in das frühe Mittelalter alle Urwälder in West-, Zentral- und Südosteuropa, doch mit dem Verlust seiner Lebensräume starb auch der Wisent aus. Ende des 19. Jahrhunderts war der „König der Wälder“ fast vollständig ausgerottet. Nur im Westkaukasus und in Białowieża hatten kleine Populationen überlebt. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges starben sie dort ebenfalls aus. Aufwändige  Nachzuchten von Gehegetieren ermöglichten es aber nach dem zweiten Weltkrieg, wieder Wisente in die verbliebenen Urwälder auszusetzen, in Białowieża Anfang der 1950er Jahre (Hintergrundinfos zum Thema Wisent und Wisent-Schutz im Westkaukasus). Da die Tiere dort seinerzeit gute Bedingungen vorfanden und streng geschützt wurden, vermehrten sie sich rasch. Heute stammen alle Wisente, die in den ehemaligen Ostblockstaaten ausgewildert wurden, sowie die Tiere des ersten deutschen Auswilderungsprojektes im Rothaargebirge, aus dem Urwald von Białowieża.

Białowieża Urwald, Foto: Marek Kosinski (UNESCO media service)

Und nun rattern in diesem „Hot Spot“ der biologischen Vielfalt in Europa und der EU, die Motorsägen. Mal wieder, denn es gab schon mehrere Anläufe früherer polnischer Regierungen, das wertvolle Laubholz zu Geld zu machen. Polnische und europäische Naturschutzverbände, wie BirdLife Europe mit seinem deutschen (NABU) und polnischen Partner (OTOP), protestierten. Aber da internationales und europäisches Naturschutzrecht „soft law“ ist, blieb es bei Appellen. Seit dem EU-Beitritt Polens im Jahr 2004 sieht das anders aus. Jetzt gilt für den im Jahr 2008 von Polen als Natura-2000-Gebiet ausgewiesenen polnischen Teil des Gebietes das Naturschutzrecht der EU, das dank der mit dem Maastrichter Vertrag 1992 eingeführten Sanktionsmechanismen kein „zahnloser Tiger“ mehr ist. Auch in Natura-2000-Gebieten sind zwar wirtschaftliche Nutzungen nicht per se verboten, aber an bestimmte rechtliche Voraussetzungen geknüpft, die die EU-Mitgliedstaaten im Artikel 6 der FFH-Richtlinie und in den entsprechenden nationalen Umsetzungsgesetzen festgelegt haben.

Während es bei früheren Fällungen vorwiegend um wertvolles Laubholz ging, hat der jetzige polnische Umweltminister die Fällungen vordergründig mit „Borkenkäfer-Befall“ von Fichten begründet, obwohl dies – wie man auch dank der Diskussionen um den ersten deutschen Nationalpark im Bayerischen Wald seit 1970 weiß – kein Argument ist. In einem Nationalpark darf und soll „Natur Natur sein“, und dies gilt auch in einem dem Prozeßschutz gewidmeten Natura-2000-Gebiet. Dies hat auch das Europäische Parlament bereits im Februar 2009 in seiner Entschließung zu „Wildnis in Europa“ (2008/2210(INI)) bestätigt und die Schaffung von mehr Wildnisgebieten und deren rechtlichen Schutz gefordert.

Berlaymont-Gebäude in Brüssel, Sitz der Europäischen Kommission

Die EU-Kommission als oberste Kontrollbehörde und „Hüterin der Verträge“ hat daher ein EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet. Im April wurde der polnischen Regierung im Rahmen dieses förmlichen Verfahrens eine mit Gründen versehene Stellungnahme der EU-Kommission („reasoned opinion“) zugestellt, die letzte Stufe vor der Anrufung des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg (EuGH). Sozusagen ein letzter „Warnschuss“. Wenn Polen den ignoriert und nicht innerhalb einer festgesetzten Frist die Rodungen einstellt und sich an geltendes EU-Recht hält, kann die EU-Kommission klagen. Da Polen bislang nicht reagiert hat, hat Anfang Juli eine interfraktionelle, parteiübergreifende Gruppe von Europaabgeordneten die EU-Kommission aufgefordert, jetzt zügig Klage gegen Polen vor dem EuGH einzureichen. Zudem  müssten die bislang fortlaufenden Abholzungen gestoppt werden, forderten die EP-Abgeordneten der konservativen, sozialdemokratischen und grünen Fraktion in seltener Einigkeit. Deutsche Mitunterzeichner sind die Sozialdemokratin Maria Noichl und Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EP.

Für den NABU liegt auf der Hand, dass das Borkenkäfer-„Argument“ nur vorgeschoben ist, zumal der Wert und Urwaldcharakter in Białowieża vor allem durch  die mehrhundertjährigen Eichen geprägt wird, die der Borkenkäfer gar nicht befällt. Zudem hat nach Informationen polnischer Naturschutzverbände der Umweltminister selbst die Streichung des Gebietes von der UNESCO-Liste gefordert und die Fällungen explizit angeordnet.

Das UNESCO-Welterbe-Komitee tagt derzeit, bis zum 12. Juli, im etwa 500 Kilometer entfernten Krakau (41. Sitzung des Welterbe-Komitees). Nicht zuletzt aufgrund des Protestes polnischer und internationaler Naturschutzverbände hat das Komitee die polnische Regierung inzwischen aufgefordert, die Fällungen einzustellen. Als Drohmittel bleibt der  UNESCO freilich nur, Białowieża in die Liste der gefährdeten Weltnaturerbe-Stätten aufzunehmen oder den Titel als „ultima ratio“ ganz abzuerkennen. Ob das die derzeitige polnische Regierung beeindruckt, bleibt abzuwarten. Zumal auch der öffentliche Druck bislang überschaubar bleibt. Wald und Wisenten fehlt offenbar das Charisma von Pandabären.

Die Hoffnungen der Naturschützer richten sich daher derzeit vor allem auf die EU-Kommission. Immerhin, eine frühere polnische Regierung hatte im Jahr 2008 nach massiven Protesten und einem EU-Vertragsverletzungsverfahren eine Autobahn-Trasse verlegt, die zunächst durch das ebenfalls als Natura-2000-Gebiet geschützte Rospuda-Tal geplant worden war. Diese Hoffnung ist heute sogar noch stärker, zumal die EU-Kommission als Resultat eines umfangreichen „Fitness Checks“ der Naturschutzrichtlinien, im Dezember 2016 angekündigt hat, die Umsetzung der Richtlinien und des Schutzgebietsnetzes Natura 2000 in der EU zu verbessern und die Qualität der Umsetzung in den Mitgliedstaaten stärker zu kontrollieren.

Der Kampf der Naturschutzverbände um den Erhalt der EU-Naturschutzrichtlinien, den auch die EU-Umweltminister und das Europäische Parlament unterstützten, hat sich schon jetzt in jedem Fall gelohnt. So auch die Einschätzung der Experten des NABU und seines Dachverbandes BirdLife Europe, die maßgeblich an diesem Erfolg beteiligt waren.

Aber wenn es der EU-Kommission mit diesem Rechtsinstrumentarium gelingt, den letzten Urwald Europas vor den Kettensägen zu retten, wäre dies eine noch schönere Bestätigung für die langjährigen Bemühungen um die Naturschätze Europas!

Białowieża Urwald, Foto: Andrzej Antczak (UNESCO media services)

2 Kommentare

Rainer

27.08.2017, 14:59

Ich verstehe nicht wie man so verantwortungslos mit der Natur umgehen kann. Ja, die Welt braucht Holz und ja, viele Menschen die ohne Bedacht Regenwälder abholzen sind arm und wollen nur Geld. Aber trotzdem sollte doch jedem bewusst sein, was für einen Schaden man anrichtet. Wenn man mit seiner Kettensäge rumfuchteln will, dann soll man das mit dem Staat absprechen. Und der Staat soll sich an die Umweltvorschriften halten.

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Claus Mayr

30.08.2017, 08:21

Sehr geehrter Rainer, herzlichen Dank für Ihren Kommentar! Und ein Hinweis: Da die polnische Regierung trotz eines Ende Juli vom Europäischen Gerichtshof angeordneten sofortigen Stopps der Fällungen weiter abholzen lässt und weiter gegen EU-Recht verstößt, haben die polnischen Umweltverbände mit Unterstützung unseres Dacheverbandes BirdLife International und der Waldschutz-Organisation FERN eine Petition gestartet:

https://act.wemove.eu/campaigns/defend-forest

Wir würden uns freuen, wenn Sie diese Petition unterstützen würden!

Wir werden an dieser Stelle über die weitere Entwicklung informieren.

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