Nach dramatischem Ringen: Sieg über Populismus

Protestierende fordern gemeinsam mit Greta Thunberg ein starkes Nature Restoration Law vor dem Europäischen Parlament, 11.07.2023.

EU-Parlament stimmt für das Nature Restoration Law

Gestern haben die Abgeordneten des Europäische Parlaments über ihre Position zum EU Nature Restoration Law abgestimmt. Entgegen unseren Befürchtungen hat das Plenum das Gesetz nicht komplett beerdigt.

Was ist passiert? 

Nach der Abstimmung im federführenden Umweltausschuss des Europäischen Parlaments vor ein paar Wochen (Bericht hier in unserem Blog) kam es gestern zum finalen Showdown mit allen 705 Abgeordneten im Plenum in Straßburg. Der Ausgang war bis zuletzt offen und die Umweltverbände – ehrlich gesagt – wenig hoffnungsvoll. Die Abstimmung verlief in drei Schritten: 

  • Zunächst wurde über den – von der Europäischen Volkspartei (EVP) eingebrachten – Antrag, das Gesetz als Ganzes zurückzuweisen abgestimmt. Dieser Antrag wurde unter großem Jubel abgelehnt. Damit war die größte Hürde genommen, und der Angriff von Manfred Webers EVP auf die europäische Demokratie abgewehrt. 
  • Anschließend wurde über die 130 Einzel-Änderungsanträge abgestimmt. Dabei wurde das Gesetz durch eine Mehrheit aus konservativer EVP, rechtskonservativer ECR, rechtsnationaler ID und Teilen der liberalen Renew-Fraktion (inklusiver aller deutschen FDPler*innen) leider massiv abgeschwächt (Details weiter unten). 
  • Zuletzt wurde noch einmal über alle angenommenen Änderungsanträge als Ganzes abgestimmt, um diese Parlamentsposition dann in die Trilog-Verhandlungen mit Rat und Kommission schicken zu können. Hierbei stimmten 336 MdEPs für ihren Text, 300 dagegen und 13 enthielten sich. 

Insgesamt ist diese Abstimmung damit zunächst einmal vor allem ein Sieg für die europäische Demokratie. Die massive Falschmeldungs-Kampagne (Details zum Beispiel hier) gegen das Nature Restoration Law durch Manfred Webers EVP ging nicht auf. Diesen Erfolg verdanken wir nicht nur den progressiveren Parteien. Ohne die starke Mobilisierung von Bürger*innen durch Umweltverbände wie dem NABU, das Engagement von tausenden von Wissenschaftler*innen und Unterstützungsbekundungen für das Nature Restoration Law durch zahlreiche Unternehmen wäre dieses Ergebnis unvorstellbar gewesen. In der Nacht vor der Abstimmung knackte die #RestoreNature Kampagne die Millionen-Marke: Über eine Million Menschen fordern mit uns verbindliche und starke Regeln zur Wiederherstellung unserer Natur.

Die Änderungen des Parlamentes im Detail 

Dennoch: Die Parlamentsposition ist inhaltlich gesehen ernüchternd und entspricht nicht dem, was wissenschaftlich gesehen für den Natur- und Klimaschutz notwendig ist. Was sind die gravierendsten Änderungen aus unserer Sicht? 

  • Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte für den ECR-Antrag, die Verpflichtungen für Agrarökosysteme (Art. 9 des Kommissionsvorschlags) komplett zu löschen. Damit sind alle Ziele für Feldvögel und Wiesenschmetterlinge hinfällig. Außerdem sieht die Parlamentsposition keinerlei Vorgaben mehr vor, um den negativen Trend bei artenreichen Landschaftselementen umzukehren. Und besonders krass: auch die aus Klimaschutz- und Anpassungsgründen so wichtigen Vorgaben zur Wiederherstellung und Wiedervernässung von Moorböden wurden damit gestrichen. 
  • Außerdem fand sich eine Mehrheit dafür, die Vorgaben für terrestrische Ökosysteme (oder auch „wertige Natur”, in Art. 4 des Kommissionsvorschlags) zu begrenzen. Diese Vorgaben sehen Wiederherstellungspflichten für alle Habitate des Anhangs I der FFH-Richtlinie vor. Wiederherstellungsmaßnahmen sollen nun nur noch innerhalb von Natura 2000 Gebieten erfolgen. 
  • Weitere Abschwächungen nahmen die Abgeordneten unter anderem für Waldökosysteme vor. Hier wurde (in Art. 10 des Kommissionsvorschlags) ein Ziel für mehr Totholz-Lebensräume gestrichen.
  • Außerdem strichen die Abgeordneten die auch für den NABU wichtige Vorgabe für Beteiligungs- und Klagerechte.

Immerhin wurde ein schwacher Hinweis bezüglich eines größeren Finanzierungsbedarfs für Wiederherstellungsmaßnahmen neu aufgenommen. Eine nähere Auflistung finden Sie auch in diesem englischsprachigen Beitrag von Arc 2020.

Aber, nochmal als Erinnerung: Dieser abgeschwächten Text (hier abrufbar) ist vorerst „nur” die Parlamentsposition, noch nicht das finale Gesetz. Der Rat als Mitgesetzgeber hat zwar auch Abschwächungen am Text vorgenommen, aber beispielsweise die Vorgaben für Agrarökosysteme nicht komplett gelöscht (hier ist die Rats-Position abrufbar). Die finale Verordnung zur Wiederherstellung der Natur wird erst als Ergebnis aus den nun anstehenden Trilog-Verhandlungen der drei Institutionen – Rat, Parlament und Kommission (hier der Kommissionsvorschlag, nebst Gesetzesfolgenabschätzung) – hervorgehen. 

Wie stimmten die deutschen Abgeordneten ab? 

Das Abstimmungsverhalten der deutschen Abgeordneten lässt sich leicht beschreiben (und geht auch aus der Grafik von MdEP Jutta Paulus hervor, die sie auf Twitter geteilt hat). Die Abgeordneten der Grünen, SPD, Die Linke, Volt, Piraten, Die Partei und ÖDP stimmten für das Nature Restoration Law. Die Abgeordneten der CDU, CSU, AFD, FDP und Freien Wähler stimmten gegen das Nature Restoration Law. Enthaltungen gab es von deutscher Seite nicht. Damit stimmten die deutschen Liberalen gegen die Mehrheit ihrer europäischen Kolleg*innen von Renew, die sich bis zuletzt für die Verabschiedung des Gesetzes einsetzen (wobei auch sie für Abstriche beim Ambitionsniveau verantwortlich waren). Immerhin: Auch in der Europäischen Volkspartei gab es 15 Abgeordnete aus verschiedenen Mitgliedstaaten, die Manfred Webers Angriff auf die Natur und auf unsere politische Kultur nicht mittragen wollten. Zumindest aus europäischer Sicht ist dies ein Hoffnungsschimmer. 

Grafik zum Abstimmungsverhalten der deutschen EU-Abgeordneten. Quelle: Tweet von MdEP Jutta Paulus.

Wie geht es nun weiter? 

Erstmal sind wir natürlich ziemlich erleichtert, dass es überhaupt weitergeht. Hätte das Parlament den Gesetzesentwurf abgelehnt, wäre nämlich zunächst Schluss gewesen mit dem Projekt “Nature Restoration Law”. Beim EU-Bodenschutzgesetz (Soil Health Law) hatte es auch mehr als eine Dekade gedauert, bis die Kommission nach der gescheiterten Bodenschutzrahmenrichtlinie einen neuen Anlauf wagte (und erst vor Kurzem einen abgeschwächten Gesetzesvorschlag vorlegte, siehe unsere NABU-Pressemitteilung hierzu).

Dies sind die nächsten absehbaren Schritte:

  • Der Auftakt für ein erstes Trilog-Treffen wird bereits nächste Woche in Brüssel stattfinden. Dort werden die drei Institutionen zusammenkommen: Die Kommission (durch den Umweltkommissar bzw. dessen Team vertreten), der Rat (vertreten wohl durch das spanische Umweltministerium) und das Europäisches Parlament (vertreten in jedem Fall durch den Berichterstatter des federführenden Umweltausschusses César Luena, sowie die Schattenberichterstatter*innen und auch die entsprechenden Vertreter*innen der Berichte des Agrar- und Fischereiausschusses). Sie werden zunächst den weiteren Verlauf organisatorisch besprechen. Nach der Sommerpause sollte es dann mit der inhaltlichen Beratung losgehen. In mehreren Trilog-Treffen könnten die Institutionen bis Ende dieses Jahres eine Einigung über den finalen Text finden.
  • Die Trilog-Verhandlungen sind leider nicht öffentlich. Das Vorgehen ist folgendermaßen: Es wird mit einem sogenannten Vier-Spalten-Dokument gearbeitet. In den ersten drei Spalten finden sich die Positionen der Institutionen. Die vierte Spalte ist dem auszuhandelnden Kompromiss vorbehalten. Dieses Prozedere führt übrigens dazu, dass man nahezu zwingend davon ausgehen kann, dass der finale Gesetzestext wieder einen Artikel zu Agrarökosystemen enthält. Denn: Zwei Institutionen, Rat und Kommission, sehen einen solchen in ihrer Position vor. Der Rat hat dabei in der Regel rein faktisch mehr Gewicht, die Kommission hat die Rolle der besonnenen Maklerin. Wenn also nur eine Institution diesen Artikel gestrichen sehen möchte, ist ein Kompromiss sicher nicht, diesen Artikel zu streichen. Klar ist aber auch, dass es keine Ambitions-Schübe geben wird, die über die nun vorliegenden Positionen hinausgehen. Die von uns bereits am Kommissionsvorschlag identifizierten Effektivitätslücken, die weder vom Rat noch Parlament aufgegriffen wurden (etwa zu konkreteren Verpflichtungen für Mitgliedstaaten, freifließende Flüsse wiederherzustellen), werden folglich, wenn überhaupt, nur sehr partiell geschlossen werden können.
  • Gleichwohl: Schon jetzt ist schon sehr viel näher ersichtlich, wie das finale Gesetz aussehen könnte. Damit kann und muss ab sofort die Vorbereitung für die nationale Umsetzung in den Blick rücken. Dies betrifft die technische Ebene: die entsprechenden Behörden (wie etwas das Bundesamt für Naturschutz) sollten die Ökosysteme identifizieren, die von den materiellen Verpflichtungen des Gesetzes (in Art. 4 bis 10) erfasst sind. Dies ermöglicht es, zügig an das Erstellen des nationalen Wiederherstellungsplans zu gehen. Dies betrifft aber auch die politische Ebene, in zweierlei Hinsicht: Das Bund-Länder-Zusammenspiel sollte weiter konkretisiert werden. Und alle Parteien sollten als demokratische Akteure für die Umsetzung des Gesetzes Verantwortung übernehmen, da sie auf Bundes- oder Landesebene als Teil der zuständigen Regierungen damit betraut sein werden. Dies gilt insbesondere auch für die CDU/CSU und FDP, die das Gesetz bei der gestrigen Abstimmung abgelehnt haben. 

Wir als NABU werden natürlich weiter am Thema dranbleiben, und für Sie und die Natur auch die Trilog-Verhandlungen so gut wie möglich verfolgen, zusammen mit unseren EU-Dachverbänden (BirdLife Europe und EU-Umweltbüro EEB). Wir werden aber auch weiter Ihre Unterstützung brauchen, denn es ist nicht unbedingt davon auszugehen, dass die EVP nun Ruhe gibt. Für Ihr beispielloses Engagement auf jeden Fall ein riesiges Dankeschön! 

Für den NABU aus Straßburg beziehungsweise auf der Zugfahrt von dort zurück berichteten in diesem Beitrag: Stephan und Raphael 

Raphael Weyland

1 Kommentar

Angelika Heitmann

14.07.2023, 11:23

Meine Schlussfolgerungen zu diesem Gesetz sind folgende: Die rücksichtslose und artenvernichtende insdustrielle Ausbeutung unserer Böden durch die Landwirtschaft darf ohne Rücksicht auf Verluste weiter gehen. Der Wald darf wegen der Interessen der gewerblichen Holzindustrie klimawidrig weiter ausgebeutet werden. Der Schutzgedanke bezüglich unserer von uns Menschen derzeit in hohem Grad vernichteter Mit-Lebewesen auf diesem Planeten ist nach dem Motto "money makes the world go round " völlig unerheblich. Ohne ein Klagerecht für Verbände ist das Gesetz ein "zahnloser Tiger" leider nur mit Alibifunktion. Im Ergebnis verhalten wir uns gegenüber der Natur so, als seien die Tiere und die Pflanzen unsere Sklaven. Dies bestätigen u.a. Abholzungsaktionen und die Tierhaltung in gewerblichen Betrieben. Es ist einfach eine menschliche und politische Schande, rücksichtslos sowie dumm! Ich danke jedoch den Abgeordneten, die für dieses Gesetz gestimmt haben. Die angehängte Liste war dafür sehr hilfreich.

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