Günstiger Erhaltungszustand – politisches „Wünsch Dir was“ zum Wolf

Günstiger Erhaltungszustand – politisches „Wünsch Dir was“ zum Wolf

Es wird gestritten. Wieder um den Wolf. Und wieder abseits der faktenbasierten Ebene. Prominent ist die angekündigte Änderung des Bundesnaturschutz- und Jagdgesetzes für den Wolf. Weniger öffentliche Beachtung findet die Meldung des Erhaltungszustands geschützter Arten und Lebensräume an die EU-Kommission im Rahmen des FFH-Berichts, welche Ende Juli wie alle sechs Jahre fällig war – und über jegliches weitere gesetzliche Vorgehen bestimmt.

Für den Wolf wurde vorerst ein „unbekannter“ Erhaltungszustand nach Brüssel gemeldet. Das ist sehr verwunderlich, hat Deutschland doch eines der besten Wolfsmonitorings in ganz Europa. An der Datenlage kann es also nicht liegen. Das „vorerst“ wird noch brisant, hat der Bundesagrarminister doch schon angekündigt, im Herbst die Methode der Zustandsermittlung zu ändern, um „günstig“ nachmelden zu können.

Exkurs: Günstiger Erhaltungszustand – was ist das?

Der Günstige Erhaltungszustand ist das naturschutzpolitische Ziel, welches die FFH-Richtlinie für alle dort gelisteten Arten und Lebensräume vorgibt und bewertet die Gesamtheit der Einflüsse, die sich langfristig auf die Verbreitung und die Größe der Populationen der betreffenden Arten auswirken können. Es handelt sich dabei ausdrücklich nicht um einen Maximalbestand.

Grob vereinfacht gilt der Günstige Erhaltungszustand als gegeben, wenn folgende Bedingung erfüllt ist:

Eine Art kommt jetzt und auch in Zukunft überall dort vor, wo sie von Natur aus leben könnte; der Lebensraum und das Nahrungsangebot sind jetzt und auch in Zukunft so ausreichend, dass das Überleben der Art langfristig gesichert ist. Die Anzahl der Individuen ist außerdem ausreichend groß, damit die Art auch in Zukunft nicht wieder durch zufällige Ereignisse (Krankheiten, Verkehrsunfälle usw.) oder gezielte Nachstellungen (Nutzung, Wilderei) in ihrem Bestand gefährdet wird.

Für die Bewertung und Einstufung des Erhaltungszustandes sind demnach mehrere Merkmale von Bedeutung – nicht nur die reine Individuenzahl. Die Bewertung des Erhaltungszustands erfolgt europaweit anhand vier einheitlicher Parameter:

  1. Verbreitungsgebiet
  2. Größe der Population
  3. Größe und Qualität des Habitats
  4. Zukunftsaussichten (inkl. Beeinträchtigungen und Gefährdungen)

Verbreitungsgebiet und Population werden quantitativ anhand ihrer Entwicklungstrends sowie im Vergleich zu einem „günstigen Referenzwert“ bewertet – dieser ist ein Wert, bei dem sich das betrachtete Kriterium dauerhaft in einem günstigen Zustand befindet, und der je Art festgelegt werden müsste. Der von den vier am schlechtesten bewertete Einzelparameter bestimmt das Gesamtergebnis für die Meldung an die EU.

Hinzu kommt, dass die Bewertungen separat für die neun europäischen biogeografischen Regionen erfolgen müssen. Deutschland hat Anteil an der atlantischen, kontinentalen und alpinen Region – sodass für diese Regionen separat bewertet werden muss. Gilt eine Region als „ungünstig“, muss für ganz Deutschland „ungünstig“ gemeldet werden. Zudem muss der Erhaltungszustand laut EuGH auf lokaler, biogeografisch-nationaler und ggf. biogeografisch-grenzübergreifender Ebene als günstig bewertet sein, um insgesamt günstig zu sein.

Eine wichtige Unterscheidung muss gemacht werden zur Roten Liste gefährdeter Tier- und Pflanzenarten: Diese gibt den Grad des Aussterberisikos an, was quasi das maximale Horrorszenario darstellt, welches zu verhindern ist. Das Konzept des Günstigen Erhaltungszustands zielt nicht nur auf das Nicht-Aussterben, sondern vielmehr auf die langfristige Absicherung gesunder, lebensfähiger Bestände, die ihre Funktion in intakten Ökosystemen erfüllen können.

Knackpunkt „günstiger Referenzwert“

Solange die meisten Arten (erschreckenderweise!) noch weit entfernt von einem günstigen Erhaltungszustand waren, fiel es nicht weiter ins Gewicht, dass keine quantitativen Referenzwerte – aka: harte Zahlen – definiert waren. Dies obliegt den einzelnen EU-Mitgliedstaaten, es müssen aber nach Art. 14 FFH-RL die besten verfügbaren wissenschaftlichen Daten und Methoden angewendet werden. So beschloss die Umweltministerkonferenz (UMK) 2017, eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe einzurichten, um gemeinsam eine fachliche Methode für die Bestimmung der günstigen Referenzwerte Population und Verbreitungsgebiet zu bestimmen. Auf diversen UMKs (95. UMK, Top 22; 97. UMK, Top 17; 100. UMK, Top 19) wurde sich auf ein eigenes Bund-Länder- Abstimmungsverfahren geeinigt. Die UMK betonte 2021 sogar, dass die Beurteilung ausschließlich fachlich „auf wissenschaftlich-fachlicher Grundalge entlang europarechtlicher Vorgaben erfolgen muss“ (97. UMK, Top 17). Die fachliche Basis hierfür bildete im Auftrag des BfN die wissenschaftliche Zuarbeit des Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW). Nach deren (mit Bund und Länder abgestimmten) Modell kann die Größe der Population und des Verbreitungsgebiets in der atlantischen biogeografischen Region tatsächlich als „günstig“ bewertet werden. Anders sieht es jedoch für den viel größeren Anteil Deutschlands an der kontinentalen biogeografischen Region aus: dort ist der Erhaltungszustand noch als ungünstig zu bewerten – was allein optisch schon offensichtlich ist, gibt es doch im Großteil der südwestlichen Fläche nur vereinzelte Wolfsvorkommen. Demzufolge ist deutschlandweit eben noch kein günstiger Erhaltungszustand erreicht.

Politisch passt das Ergebnis für einige Länder nicht

So weit so gut – mit diesem wissenschaftlichen Modell wäre die Faktenlage eigentlich klar. Es hat immerhin mehrere Jahre gebraucht, bis sich Bund und Länder einigermaßen auf ein wissenschaftliches Vorgehen verständigen konnten. Auf den Bewertungskonferenzen für den FFH-Bericht im Frühjahr wurde dann aber deutlich: einigen Ländern passt das Ergebnis „ungünstig“ nicht. Thüringen und Brandenburg (jeweils unter neuer Regierung) blockierten im Frühjahr; Bayern, Berlin, Hessen und Sachsen forderten noch im Juli, die Methode zu überarbeiten – wenige Wochen vor Deadline der EU-Meldung. Politisch nicht überraschend – ein national „ungünstiger“ oder „unbekannter“ Bestand darf auch nach Abstufung des Schutzstatus nicht bejagt werden. Was jedoch von manchen PolitikerInnen ihren WählerInnen versprochen wurde. Da sich auf eine neue (wissenschaftliche) Methode nicht vor Ende Juli 2025 geeinigt werden konnte, wurde die kontinentale Region provisorisch als „unbekannt“ gemeldet – um im Herbst „günstig“ nachzumelden. So funktioniert Wissenschaft aber nicht: Man ändert nicht die Methode, wenn einem das Ergebnis nicht passt.

„Eine Methode so lange anzupassen, bis das Ergebnis für die eigenen Ziele stimmt, ist fachlich schlicht falsch. Artenschutz ist kein Wünsch-dir-was der Politik“ sagt Marie Neuwald.

Zudem ist dieses Vorgehen nicht konform mit der FFH-Richtlinie: Eine politisch motivierte, ggf. falsche Bewertung des Erhaltungszustands des Wolfs wäre nach den Anforderungen der EEA (European Environment Agency) an die FFH-Berichtserstellung unzulässig, verstieße also gegen Art. 17 Abs. 1 FFH-RL. Was zudem oft untergeht: Auch ein Anhang V FFH-RL verbunden mit einem günstigen Erhaltungszustand bedeutet keine Pflicht, eine Art aktiv zu regulieren – es erweitert nur die rechtlich-legitimen Möglichkeiten im Umgang mit ihr (in einem sehr eng-definierten Rahmen).

Ziel sollte sein: Evidenzbasiertes Wildtiermanagement

Der NABU appelliert an die Bundes- sowie die Landespolitik: Arbeiten Sie mit dem, was ist, und nicht dem, was mit unwissenschaftlichen Methoden herbeigezaubert wird. Ja es gibt viele Wölfe in manchen Regionen Deutschlands – im überwiegenden Teil jedoch kaum welche. Was für eine Jagdquote wollen denn Länder wie Hessen, Bayern oder NRW mit einer Hand voll Wölfen ernsthaft verargumentieren? Und auch Länder im Nordosten mit verhältnismäßig vielen Wölfen sind gut beraten, nicht blindlinks in den Wolfsbestand zu schießen, nur weil es nach Drehen einiger politischer Schrauben eventuell rechtlich erlaubt wäre (unter großer juristischer Unsicherheit, in letzter Konsequenz für die einzelnen Jagdausübungsberechtigten) – dem Herdenschutz würde dies unter Garantie nicht helfen, wie in diesem Blog erläutert.

Was es braucht, und gesellschaftlich auch eher anerkannt wäre als eine reguläre Bejagung: Anlassbezogenes Wildtiermanagement. Dort, wo Wölfe trotz gutem Herdenschutz Weidetiere reißen, sollte es Möglichkeiten geben, auch durch gezielten Abschuss reagieren zu können. Dass erstens die Abläufe und Kriterien rechtlich sauber und zweitens der Abschuss dann auch noch praktisch erfolgreich laufen, wäre genug Arbeit, um Bund und Länder mindestens einen Herbst lang zu beschäftigen. Mit der zähen Debatte um andere Methoden zur Erreichung des günstigen Erhaltungszustands wird die eigentliche Problembehandlung verschoben – am Ende zulasten einzig der Weidetierhaltung. Um mit einer Good News zu enden: Die aktuelle Rissstatistik zeigt, auch ohne Bejagung sinkt bei verbessertem Herdenschutz die Zahl der Risse, letztes Jahr sogar um 25 Prozent.

Marie Neuwald

Stv. Teamleitung Politik & Strategie Senior-Referentin Wölfe und Beweidung

3 Kommentare

Dr. Peter Herold

08.09.2025, 14:35

Vielen Dank für diesen sehr guten Artikel, liebe Marie! Hoffentlich kneift der NABU nicht, sollte die Politik ihren rechtswidrigen Weg fortsetzen! Beste Grüße, Peter

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Hanno Pilartz

08.09.2025, 16:17

Leider fehlen mir zwei wichtige Aspekte - wie fast immer, wenn Marie Neuwald ihre ansonsten guten Texte schreibt... 1. Die eminent wichtige Rolle der Wölfe als Schluss-Stein-Spezies des Ökosystems Wald. Was ja die Grundlage für den Schutz durch die FFH-Richtlinie ist.... warum habt Ihr beim NABU nicht den Mut, den großen Wert der Wölfe für uns alle zu betonen? 2. Die Erwähnung der fünf wissenschaftlichen Studien aus Spanien, Frankreich, Slowakei, Slowenien und Lettland, die klar belegen, dass anlasslose Wolfsbejagung den Weidetierhaltern mehr schadet als nützt. Warum sollten wir in Deutschland diese schlechten Erfahrungen anderer wiederholen?

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Angelika Heitmann

16.09.2025, 15:38

Es ist erschreckend, was man so aus einem aus jedenfalls wissenschaftlicher Sicht klaren Resultat zum Wolfsschutz politisch alles machen kann. Da wird so lange politisch herum taktiert, bis das Ergebnis - also die Wolfstötung - passt. Es ist wirklich an der Zeit dem Abbau des Umwelt- und insbesondere auch des Wildtierschutzes entschieden entgegen zu treten. Hier müssen sich die großen Naturschutzverbände - so wie die Bauernverbände dies für ihre Interessen tun - durch konzertierte Aktionen politisches Gehör verschaffen.

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