Das stille Sterben der Insekten, das Schweigen der Politik

Das stille Sterben der Insekten, das Schweigen der Politik

Heute treffen sich in Brüssel die Staats- und Regierungschefs der EU, um erstmals über den künftigen EU-Haushalt zu verhandeln. Dabei geht es um nichts weniger als die Frage, wie etwa 1000 Milliarden Euro in den Jahren 2021-2027 ausgegeben werden sollen. Daran wird sich auch entscheiden, wohin sich Europas Landwirtschaft künftig entwickeln wird – und ob es Hoffnung auf Rettung für die Artenvielfalt in der EU gibt. Das bisherige Schweigen der Regierungen gerade zum dramatischen Insektensterben ist ohrenbetäubend. Zusammen mit über 130 Organisationen aus ganz Europa fordert der NABU daher heute bei einer Aktion in Brüssel „mehr Geld für die Natur im EU-Haushalt“.

Neue Zahlen zum Finanzdefizit im deutschen Naturschutz

Aber worum geht es genau? Liegt es wirklich am fehlenden Geld, dass Insekten sterben und Vögel verschwinden? Können wir mit EU-Geld die Natur retten? Sicher nicht alleine – wir brauchen starke Gesetze, die zum Beispiel den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft und die Düngung regulieren. Wichtig ist auch ein gut vernetztes System von europäischen Schutzgebieten und die Unterbindung von illegalen Aktivitäten – von der Tötung geschützter Arten bis zu verbotener Abholzung oder Grünlandumbruch. Und natürlich liegt es auch stark am Konsumverhalten von uns allen. Dass Erdbeeren im Winter oder Billigfleisch sowohl Klima als auch Artenvielfalt schaden – ist klar.

Insekten sind durch die immer intensivere Landwirtschaft bedroht. Foto: Kathy Büscher

Dennoch: Geld ist zwar nicht alles, doch ohne Geld ist alles nichts – zumindest im europäischen Naturschutz. Das beste Schutzgebietsnetz – und die EU hat mit Natura 2000 zumindest das größte – der Welt nützt kaum, wenn die Flächen nicht erhalten und gepflegt werden können. Hierfür braucht es Geld – inbesondere für Landwirte, Waldbesitzer, Schäfer aber auch alle anderen, die sich im Dienste der Gesellschaft um Arten und ihre Lebensräume kümmern. Landnutzern sollten wir Steuerzahler dabei attraktive finanzielle Anreize für den Erhalt von Hecken, Blühstreifen und anderen naturnahen Flächen bieten – ebenso wie für die Pflege von Wacholderheiden oder den Erhalt von Nistbäumen im Wald. Naturschutz als Gesellschaftsvertrag, konkrete Leistungen die über das gesetzliche Mindestmaß hinausgehen, sollten bezahlt werden.

Um wieviel Geld geht es? Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) hat soeben neue Schätzungen für Deutschland veröffentlicht – vermutlich die akkuratesten weit und breit (download der Studie hier): Danach decken die verfügbaren Mittel den Finanzbedarf des Naturschutzes nicht einmal zur Hälfte ab – äußerst vorsichtig ausgedrückt. Jährlich werden in Deutschland mindestens 1,4 Milliarden Euro alleine zur Umsetzung des EU-Naturschutzrechts (v.a. Natura 2000) benötigt, wobei der Meeresschutz hier nicht einmal mit eingerechnet ist. Dem stehen derzeit Mittel von geschätzt rund 540 Millionen Euro gegenüber.

Die EU muss den Löwenanteil stemmen

Landwirte, die artenreiche Wiesen erhalten und dafür auf Einkommen verzichten, verdienen Unterstützung vom Steuerzahler. Foto: Florian Schöne

Die Natur kennt keine Grenzen, und in vielen Teilen Europas brauchen arme Regionen Hilfe beim Schutz des gemeinsamen Naturerbes. Außerdem schreibt das EU-Recht vor, dass die Staaten Hilfe aus Brüssel für den Naturschutz erhalten sollen. Der NABU fordert daher, dass 75 Prozent der Kosten aus dem EU-Haushalt gedeckt werden sollten. Nach den neuen Zahlen des BfN tragen die EU-Fonds in Deutschland derzeit jedoch nur mit 379 Millionen EUR pro Jahr bei (unter Einbeziehung der erforderlichen nationalen Kofinanzierung). Das sind weniger als 30 Prozent des Bedarfs! Man könnte nun annehmen, das reiche Deutschland schultere dafür um so mehr von diesen Kosten selbst. Weit gefehlt, auch in Deutschland wird der weitaus größte Teil des Naturschutzes von Brüssel finanziert (bis zu 70 Prozent, ergibt sich aus dem BfN-Zahlen).

Diese EU-Förderung teilt sich in Deutschland übrigens auf in Mittel aus der Agrar-  (324 Mio. EUR – sog. „Zweite Säule“), Regional (21 Mio. EUR) und Fischereipolitik (3 Millionen EUR) sowie aus dem LIFE-Förderprogramm der EU-Kommission (21 Millionen EUR). Die genannten Zahlen schließen jeweils Kofinanzierung und weitere Zuschüsse von Bund, Ländern und privaten Antragsstellern mit ein.

Ein EU-Naturschutzfonds zur Rettung der Artenvielfalt

Die Staats- und Regierungschefs der EU verhandeln in den nächsten Monaten über einen neuen gemeinsamen Haushalt. Foto: European Union 2013

Wie soll die Finanzlücke nun geschlossen werden? Durch nationale Anstrengungen der Mitgliedstaaten sicher nicht – wenn das schon in Deutschland nicht funktioniert, wie sollen das erst ärmere Staaten schaffen. Die EU hingegen kann hier ihren echten Mehrwert beweisen und mehrere Erfolge auf einmal erzielen. Durch die Einrichtung eines EU-Naturschutzfonds in Höhe von 15 Mrd. Euro jährlich ließe sich der Kampf gegen das Artensterben wohl ausreichend finanzieren (der ansonsten mit jedem Jahr des Nichtstuns teurer wird). Landwirte könnten zudem mit mehr Geld für konkrete Naturschutzmaßnahmen honoriert werden: Gerade für viele Bauernhöfe, die in weniger fruchtbaren Lagen naturverträglich wirtschaften wollen und die von der Aufgabe bedroht sind, böte dies eine wichtige neue Perspektive. Ein solcher Fonds würde nicht zuletzt auch dem ramponierten Image der EU-Agrarpolitik neuen Glanz verleihen – und vor allem dringend benötigte Rechtfertigung vor den Steuerzahlern. Denn nicht nur aufgrund des Brexit droht der milliardenschweren EU-Agrarpolitik ein nie gekannter Aderlass. Ein Umsteuern in Richtung Naturschutz könnte diesen zumindest mildern. Und nur zum Vergleich: derzeit gibt die EU 12 Milliarden Euro im Jahr für das sogenannte „Greening“ aus, ein bürokratisches Monster und Alptraum vieler Landwirte, das nahezu keinen positiven Effekt für die Artenvielfalt hat.

Mehr zur NABU-Forderung nach einem EU-Naturschutzfonds, der sich übrigens inzwischen auch im Koalitonsvertrag von Union und SPD findet, lässt sich nachlesen in einer Broschüre, die hier heruntergeladen werden kann.

Last but not least: Wer glaubt ein Bedarf von 1,4 Milliarden Euro im Jahr (Deutschland) oder 15-20 Milliarden Euro (europaweit) seien astronomische Summen, die der Naturschutz hier verlange, der möge sich Studien der EU-Kommission vor Augen führen, die zeigen, dass ein intaktes Natura-2000-Netzwerk 200-300 Milliarden Euro an Dienstleistungen an die Gesellschaft generiert. Jährlich.

1 Kommentar

Chris

21.04.2023, 08:57

Wow, ich habe den Naturschutz noch nie als Gesellschaftsvertrag betrachtet. Das könnte aber helfen, dass sich Gesetze besser durchsetzen. Ich bin gespannt, was in der Zukunft im Bezug auf Gesetze für die Umwelt entscheiden wird.

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