Pflanzenschutzmittelreduktion in Deutschland: Kommt da noch was?

Nach dem Scheitern des EU-Gesetzes zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) und dem darin verankerten Ziel, die Menge und das Risiko von Pflanzenschutzmitteln (PSM) um 50 Prozent zu reduzieren, scheint das Thema unter den Tisch gefallen zu sein – zumindest auf europäischer Ebene. Denn auf deutscher Ebene plant das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im Sommer ein „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“ vorzulegen. Der Auftakt zur Erstellung dieses Programms ist eine im April vorgelegte Diskussionsgrundlage“. Nach der Einholung der Rückmeldungen der relevanten Stakeholder soll dieses dann im Sommer endgültig fertig gestellt werden. Der NABU hat sich das Diskussionspapier genauer angeschaut und zieht eine ernüchternde Bilanz. 

Auf das Ziel kommt es an 

Begrüßenswert ist, dass das BMEL sich zum Ziel des European Green Deal und der Farm-to-Fork-Strategie bekennt und den Einsatz und das Risiko von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 in Deutschland halbieren will. Die Reduktion soll auf allen landwirtschaftlichen Flächen, in Schutzgebieten und durch den Ausbau der ökologischen Landwirtschaft umgesetzt werden. Die 50 Prozent sind hier als gesamtheitliches Ziel zu betrachten, nicht für jeden einzelnen Betrieb.  

Doch ohne Weg kein Ziel 

Leider ist kein strategischer Ansatz im Diskussionspapier erkennbar, der deutlich macht, wie das Ziel erreicht werden soll. Das Zukunftsprogramm Pflanzenschutz (ZP) gleicht eher einer losen Sammlung an Maßnahmen, die weder priorisiert noch finanziell ausgestattet sind. Es fehlt auch ein Ansatz zum Messen der Zielerreichung.  

Foto: NABU/Eric Neuling: Kleingewässer sind besonders gefährdet vor dem Eintrag von Pflanzenschutzmitteln.

Der NABU hat zusammen mit dem Deutschen Naturschutzring (DNR) eine umfassende Stellungnahme zum Zukunftsprogramm Pflanzenschutz abgegeben. Diese enthält eine Fokussierung auf neun Maßnahmen, welche das BMEL priorisieren und möglichst noch in dieser Legislatur die Umsetzung einleiten sollte. Diese sind: 

1) Vorbeugende Maßnahmen stärken: Integrierten Pflanzenschutz (IPS) endlich umsetzen 

Die Prinzipien des IPS sehen vor, Pflanzenschutzmittel nur dann einzusetzen, wenn vorbeugende Maßnahmen und nicht-chemische Bekämpfungsmaßnahmen nicht greifen und bestimmte Schadschwellen überschritten werden. Das ist sowohl EU- als auch bundesrechtlich bereits verankert. Die Umsetzung wird jedoch dadurch erschwert, dass die Leitlinien einen erheblichen Interpretationsspielraum zulassen, das heißt die Anwendung von IPS rechtlich nicht konkretisiert wurde. Das wird von der EU gefordert, Deutschland ist dem aber noch nicht nachgekommen. Weiterhin erfordert die Anwendung ein hohes Maß an Beratung hier hapert es zusätzlich noch an den personell schlecht ausgestatteten Pflanzenschutzämtern, die dieser Aufgabe nicht in angemessenem Umfang nachkommen können. 

2) Überarbeitung der „guten fachlichen Praxis“ (gfP) 

Die gfP muss dahingehend überarbeitet werden, dass IPS dort als verbindliche Rechtsnorm festgeschrieben werden muss. Nicht-chemische PSM sollten als Norm, nicht wie bislang als Alternative, definiert werden. Weiterhin muss das notwendige Maß im Sinne der IPS als letztes Mittel der Wahl neu definiert werden. 

3) Pflanzenschutzmittel (PSM)-Einsatz in Schutzgebieten gesetzlich regulieren 

Der Einsatz in Schutzgebieten sollte je nach Schutzgebietskategorie konsequent eingeschränkt werden. 

4) Toxic Load Indicator (TLI) als Indikator einführen 

Nur durch das Vorhandensein eines geeigneten Indikators kann die Reduktion auch wirklich gemessen werden. Der TLI eignet sich, da er nicht nur die Menge, sondern das Risiko der eingesetzten PSM misst.  

5) Einführung eines Einsatzdatenanwendungsregisters 

Neben dem Indikator braucht es eine eindeutige Datengrundlage und einen festgelegten Ausgangswert, um den Erfolg der PSM-Reduktion zu messen. Deshalb ist eine rechtliche Verpflichtung zur Erhebung, Auswertung und Veröffentlichung von Verkaufs- und Anwendungsdaten von Pestiziden zur Schaffung einer besseren Datengrundlage der Umweltbelastung durch Pestizide unmittelbar einzuführen. Diese muss im Einklang mit den Zielen der SAIO sein, die 2028 in Kraft tritt. 

6) Fortführung und Ausbau des Umweltmonitorings 

Ein begleitendes Umweltmonitoring zur Feststellung der Umweltauswirkungen des Pflanzenschutzmitteleinsatzes ist unerlässlich. Das Kleingewässermonitoring liefert wichtige Daten und sollte unbedingt weiter fortgeführt werden. Weitere Monitoringprogramme zu Rückständen und Ablagerungen in Gewässern und Böden und zu den Auswirkungen auf die unter- und oberirdische Biodiversität sollten zusätzlich aufgebaut werden. 

7) Einführung einer Pestizidabgabe 

Die Einführung einer Pestizidabgabe kann zu großen PSM-Einsparungen führen, indem die externen Kosten internalisiert werden und somit das Verursacherprinzip Anwendung findet. Der Vorteil dieses Instruments ist, dass es schon zahlreiche Studien zur Ausgestaltung und konkrete Anwendungen sowie Erfahrungswerte aus anderen Ländern gibt. Die Gelder können in die Förderung von öffentlichen Pflanzenschutzämtern zur Beratung und Schulung von IPS fließen. 

Weiterhin sollten die Mittel und Förderprogramme aus der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) weiter ausgeschöpft werden und der Refugialflächenansatz weiterverfolgt werden. Der Refugialflächenansatz sieht vor, dass, wenn auf einer Fläche bestimmte PSM eingesetzt werden (zum Beispiel Totalherbizide) muss ein direkter Ausgleich auf derselben Fläche stattfinden und zehn Prozent der Ackerfläche als Lebensraum für die Artenvielfalt belassen werden.  

Weitere Details dazu finden Sie in der NABU-DNR-Stellungnahme zum ZP. 

Appell an das BMEL 

Aufgrund der Dringlichkeit des Themas haben sich der NABU und viele andere Nichtregierungsorganisationen zusammengetan und in einem offenen Brief „Ein Zukunftsprogramm ohne Zukunft“ an den Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) appelliert, dass Zukunftsprogramm im Sinne der Zielerreichung der PSM-Reduktion nachzuschärfen. 

Andere Ansichten 

Weitere Verbände haben sich zum ZP auch sehr kritisch, wenn auch aus anderen Gründen, geäußert. Der Deutsche Bauernverband (DBV) zum Beispiel sieht hier das Ende der deutschen Landwirtschaft besiegelt.  Weitere Verbände wie die Familienbetriebe Land und Forst oder der Industrieverband Agrar (IVA) äußerten sich in ähnlicher Hinsicht kritisch.  

Doch immer mehr Studien zeigen, dass Pflanzenschutzmittelreduktion auch ohne beziehungsweise kaum Ertragseinbußen möglich ist. Der Schaden, der durch den Einsatz von PSM langfristig an der Biodiversität, an unserem Trinkwasser und in unseren Böden geschieht, also an den Grundlagen der landwirtschaftlichen Produktion, ist immer noch dramatisch und hat sich seit Jahrzehnten nicht verbessert. Gesunde Agrarökosysteme sind weitaus resilienter gegenüber dem Klimawandel und in der Lage gesunde Nahrungsmittel zu erzeugen. Diese wiederherzustellen sollte im Sinn aller landwirtschaftlichen Betriebe sein.  

Wir müssen jetzt endlich ins Handeln kommen 

Auf europäischer Ebene ist das Thema seit dem Scheitern der SUR nicht mehr Teil der aktuellen Debatte. Auch in Deutschland wird seit mehr als zehn Jahren im NAP-Forum mehr geredet als gehandelt. Die Verkaufszahlen von Pflanzenschutzmitteln haben sich in den vergangenen Jahren nicht verringert. Erfahrungen und Wissen, wie der Einsatz von PSM reduziert werden kann, gibt es genug. Es hapert, wie so oft, an der Umsetzung. Dabei gibt es bereits viele Betriebe, die es einfach selbst in die Hand nehmen und konsequent den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln hinterfragen und betriebsspezifisch umgestalten.  

Neben den genannten politischen Instrumenten muss der Paradigmenwechsel in der Anwendung von PSM bei den Betrieben ankommen und angegangen werden. Dieser Prozess muss beratend und finanziell unterstützt werden. Dafür braucht es vor allem eine verlässliche und lang gedachte Politik.  

5 Kommentare

Silke

17.05.2024, 09:01

Zu "Kommt da noch was": Weg mit dem Dreck! Braucht irgend eine Tierart diese "Schutzmittel" wirklich? Nein, im Gegenteil. Nur die, die sich daran dumm und dämlich verdienen, brauchen das Zeug. Müssen wir Menschen denn unbedingt die Lebensgrundlagen und Lebensräume aller Lebewesen zerstören? Und das auch noch mit sog. Schutzmitteln. Diese Gifte gehören komplett verboten und abgeschafft. Aber, wohin nur?

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Rita

17.05.2024, 12:41

Das Grundgesetz ändern und dem Naturschutz hohen Stellenwert einräumen. Seit 50 Jahren nur Diskussionen und Schein-Appelle. Klare Vorschriften sind notwendig und zwar für uns Bürger*innen zum Schutz der Natur und aller Lebewesen, die diesen Planeten mit uns teilen. Wir sind schließlich die, die zuletzt gekommen sind und wir sind eine Katastrophe für alle Anwesenden.

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Andreas Damm

17.05.2024, 20:23

Solch unqualifizierte Kommentare zeugen doch nur davon, dass hier keine Sachargumente ausgetauscht werden. Es scheint eine religiös ähnliche Debatte zu sein. Wisssenschaft und Menschenverstand zählen nicht und werden nicht gelten gelassen. So wie im Mittelalter (und Sie dreht sich doch). Welcher Landwirt gibt denn sein sehr hart verdientes Geld sinnlos für PSM aus. Es kann sich hier keiner Vorstellen wie hart das Geld in der Landwirtschaft verdient wird. Macht das alle erstmal und nicht nur mal so ein Praktikum oder ein halbes Jahr zum ausgleich. Ernährt erstmal eure Familie über Jahre mit dieser Arbeit, die keiner mehr machen will. Ich hatte vor zwei Jahren wegen der Trockenheit sehr viel Unkraut in den Kartoffeln und Rüben. Ich habe NABU, Bund, Greenpeace, die Grünen, die letzte Generation und noch viele andere Oranisationen angeschrieben das ich dringend Hilfe brauche und das so Essen gerettet werden kann PSM eingespart werden kann, Co2 gesspart werden kann und was kam von den für eine Rückmeldung???? Keine, keiner war bereit auf dem Feld zu arbeiten. Das ist die Realität. Und wenn PSM so schädlich sind, warum gehöhren dann die Anwender (Landwirte) zu der gesündesten Bevölkerungsgruppe mit der niedigsten Krebsrate????? Ist schon komisch, auch wird nichts davon gesagt das seit 30 Jahren die PSM schon um 50% reduziert wurden!! Aber mit Propaganda fängt man nun mal mehr Menschen ein als mit sachlichen gemeinsamen Zielen. Und wenn es dann heist, wir hätten ein Insektensterben und vor 40 Jahren war alles besser, dann kann das Insektensterben ja nicht an den PSM´s liegen den vor 40-50 Jahren gabs noch E605, Lindan, Metasystox un Co. Wie wärs mal mit Funkstrahlenbelastung und Lichtverschmutzung. Aber nein, da müsste man sich ja an die eigene Nase fasse. Dann besser die Bauern, die wurden ja schon im Mittelalter als erstes geopfert so wie im Schach. Ist ja auch alles nur ein politisches Machtspiel. Und zu guter letzt, warum feiert eigentlich keiner die Landwirtschaft? Wir sind die einzige Branche, die die Klimaziele gesachafft und eingehalten hat. Hört man nix. Eifach nur drauf auf die Bauern. Außer das sie die Menschen sicher mit Lebensmittel versorgen und das so gut wie nie zuvor in der Geschichte machen die ehh nix. Nur dumm mit dem Traktor rumfahren und Subvention kassieren. Ich kann es einfach nicht mehr ertragen, dass Menschen die keine Ahnung von diesem Beruf und dem Ablauf haben einem gute Ratschläge erteilen wollen. Erst wenn der letzte Bauer im eigenen Land seine Arbeit niedergelgt hat, werdet Ihr merken was Ihr für einen scheiß aus dem Ausland zu schlechten Bedingungen importiert. So nun reichts erstmal, obwohl noch viel zusagen wäre.

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Laura Henningson

23.05.2024, 09:52

Lieber Herr Damm, danke für Ihren Kommentar. Ob Sie es glauben oder nicht, ich kann Ihre Frustration verstehen. Wir halten uns bei unserer Argumentation strikt an wissenschaftliche Erkenntnisse. Es finden sich immer noch in vielen Kleingewässern Rückstände von PSM, die über den zugelassenen Grenzwerten liegen. Selbstverständlich geben Landwit*innen nicht unnötig Geld aus- dennoch, und das wissen Sie genauso gut wie wir, werden PSM, wie im Integrierten Pflanzenschutz vorgesehen, nicht als Mittel letzter Wahl eingesetzt. Das geben auch die meisten Ihrer Berufskollegen zu- und wir machen Ihnen auch keinen Vorwurf. Wir kennen die Geschichte und wissen, wie es dazu gekommen ist. Wir "hauen keineswegs auf die Bauern drauf" - vielmehr addressieren wir die Politik gute Wege aufzuzeigen, wie eine naturverträgliche Landwirtschaft mit weniger externen Input und an den Klimawandel angepasst in Zukunft noch gelingen kann. Wir setzen uns dafür ein, dass es bessere Bedingungen für die Natur, aber auch für die landwirtschaftliche Branche an sich gibt. Uns ist es wichtig, dass Landwirtschaft unter dem enormen globalen Druck und dem zunehmendem Druck des Klimawandeln und des Artensterbens weiter in Deutschland funktionieren kann. Übrigens wurde vor Kurzem Parkinson als landwirtschaftliche Berufskrankheit anerannt- die Mittel zu reduzieren wär demnach auch der eigenen Gesundheit zuträglich. Herzliche Grüße, Laura Henningson

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Dr. Günter Lach

19.05.2024, 13:46

Die Forderungen des NABU und DNR sind inhaltlich unbedingt sinnvoll und facglich sehr gut begründet. Leider bewirken diese Papiere nichts, da die Agrarlobbyisten und die Chemie-Industrie immer auf Zeit spielt, Prozesse verschleppt, unnötige Diskussionen anzettelt usw. mit dem Ziel, alles zu verwässern und auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Diese Taktik ist aus vielen Bereichen bekannt, z.B. der Öl- und Gasindustrie. Weiterhin möchte Ich anregen, in NABU-Papieren von "Pestiziden" und nicht von "Pflanzenschutzmitteln (PSM)" zu reden, da Pestizide der fachlich korrekte Begriff für die aktiven (insektiziden, fungiziden, herbiziden) Substanzen ist. PSM klingt verniedlichend ("Schutzmittel") und wird daher gerne von der Agrar- und Pestizidindustrie verwendet. PSM enthalten neben den aktiven Stoffen (den Pestiziden) noch viele weitere Chemikalien, wie Löungsvermittler, Emulgatoren, Wirkstoffverstärker (Synergisten) usw. Die sind auch alle mit Auswirkungen auf Flora und Fauna, aber der Fokus liegt ja auf der Pestizid-Reduktion. Die anderen Chemikalien werden dann automatisch mit reduziert, wenn weniger Pestizide ausgebracht werden.

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