Nebensache Natur?
Heute beginnen die Sondierungen für eine mögliche Ampelkoalition auf Bundesebene. Und in wenigen Tagen, am 11. Oktober, startet die Weltnaturkonferenz. Wenn alle Welt über die Zukunft des globalen Natur- und Artenschutzes verhandelt, wird sicher auch gespannt auf Deutschland geschaut werden. Sollten die zukünftigen Koalitionäre das Thema Biologische Vielfalt nicht prominent erwähnen, wäre dies nicht nur ein ganz schlechtes Zeichen für den Start der globalen Verhandlungen, sondern auch eine schlechte Nachricht für die Natur und die Menschen in Deutschland.
Doch die Natur hat es schwer in diesen Tagen. (Nicht nur) unter den Umweltthemen dominierte der Klimaschutz den zurückliegenden Wahlkampf, Politiker nahezu jeder Couleur bekannten sich dazu. So bezeichnete Christian Linder diesen auf seiner Rede beim FDP-Bundesparteitag im Mai als „eine der Überlebensfragen der Menschheit.“ Sein Parteikollege Wolfgang Kubicki wurde im WELT-Fernsehduell zur Wahl im August sogar konkreter, als er den Bezug zu einem der zentralen Probleme des Natur- und Umweltschutzes herstellte: „In der Summe wissen wir, wird eine weitere Bodenversiegelung in Deutschland uns nicht weiterhelfen, um das Klimaschutzziel zu erreichen.“ Da ist er also, der Link zum Naturschutz, und auch bei Olaf Scholz deutete er sich zart an, als er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland ND sagte: „Beim Klimaschutz muss schnell mehr passieren, damit wir vor 2050 klimaneutral werden. […] Damit schützen wir unsere Lebensgrundlagen […]“.
Apropos Lebensgrundlagen: Wenn die Vernichtung unserer Lebensgrundlagen weiter politisch angeheizt wird, sei es durch naturschädigende Anreize auf der einen Seite, aber auch zu wenig Budget und unzureichende Bemühungen für Erhalt und Wiederherstellung der Biodiversität auf der anderen, dann haben wir als Menschheit ein echtes Problem. Bei der Biodiversität ist die Tragfähigkeit des Planeten schon längst noch stärker überschritten als bei den globalen Temperaturen – und der politische Wille zu handeln, ist trotzdem noch geringer. Der Verlust der biologischen Vielfalt kam daher im Wahlkampf auch nahezu nicht vor, es ist vielmehr eine stille Krise. Sie wird ausgelöst durch eine Vielzahl menschlicher Faktoren – Vernichtung von Wäldern, Trockenlegung von Mooren, industrielle Überfischung und Vermüllung der Meere sowie Übernutzung unserer Böden. Die weltweite Naturzerstörung vollzieht sich in einem exponentiellen Tempo, so dass wir von einer Naturkrise sprechen müssen. Sie ist für uns Menschen so existenziell wie die Klimakrise. Aber es gibt keine Soforthilfen und auch keine Sondersendungen. Dabei wird überdeutlich, dass sich jetzt entscheidet, ob wir künftig in unserem gewohnten Umfeld weiterleben können – oder auf einem Planeten, der in einen Zustand übergeht, der für uns Menschen feindlich und völlig unberechenbar wird. Wir haben es noch in der Hand. Hitzesommer und Flutkatastrophen lehren uns: Auf kühlendes Stadtgrün und wasserspeichernde Wälder und Böden können wir nicht verzichten, ebenso wenig wie auf fruchtbare Böden.
Bei den an den beginnenden Ampelsondierungen beteiligten Parteien besteht in Sachen Naturschutzthemen aber noch viel Nachholbedarf: Im Abgleich mit den NABU-Kernforderungen erreichten die Grünen im Naturschutzbereich ein solides, gleichwohl ausbaufähiges Ergebnis, SPD und FDP konnten – genau wie die Union – kaum bis gar nicht punkten. Die Linke steht hier zwar besser da als die Letztgenannten, spielt in den aktuell diskutierten Regierungsoptionen aber keine Rolle.
Fest steht: Die Naturkrise muss wie die Klimakrise ganz nach oben auf die Agenda der neuen Bundesregierung. Beide erfordern schnelles und konsequentes Handeln. Deshalb fordert der NABU die nächste Bundesregierung auf, unverzüglich ein Notprogramm gegen die Krise der Natur aufzulegen und u.a. eine Milliarde Euro zusätzlich für den nationalen Naturschutz bereitzustellen und die globalen Bemühungen mit zwei Milliarden Euro zu unterstützen.
Was die Verhandelnden dabei nicht vergessen dürfen: Wirksame Schutzgebiete und eine Renaturierungsoffensive zur Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme wie Moore, Wälder, Flüsse, Auen und Artenreiches Grünland, die Förderung von städtischem Grün, von Gewässerrandstreifen, von Rückzugsräumen in der Agrarlandschaft sowie ein schonender Umgang mit der Ressource Fläche helfen nicht nur direkt der Natur, den Arten und ihren Lebensräumen. Sie erhöhen gleichzeitig die Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme – und damit auch jene unserer Gesellschaft – gegen Wetterextreme und fördern natürliche Kohlenstoffsenken. Sie sind Naturschutz, Klimaschutz und Klimaanpassung in einem. Ein intakter Biotopverbund, aufgewertete Lebensräume und passgenaue Artenhilfsprogramme helfen dabei, den Druck abzupuffern, dem die Natur durch den Ausbau der für die Energie- und Verkehrswende notwendigen Infrastruktur ausgesetzt ist.
Ansatzpunkte sind durchaus vorhanden. Die FDP will laut ihrem Wahlprogramm das Artensterben bestmöglich verhindern und sieht den Erhalt der Artenvielfalt als eine Menschheitsaufgabe und ethische Verpflichtung. Zudem will sie wertvolle Waldökosysteme und Moore erhalten. Da ist sie doch schon ganz nah bei der SPD, die ausweislich des eigenen Parteiprogramms bestehende Moore schützen, trockengelegte Moore im großen Stil wieder vernässen und Wälder an den Klimawandel anpassen möchte, damit sie auch in Zukunft ihre wichtige Rolle für den Klimaschutz und die Biodiversität erfüllen können. Laut Bündnis 90/Grüne braucht es zur Eindämmung des Artensterbens allerdings mehr als einer Kurskorrektur, es brauche einen neuen Kurs. Die Partei will deshalb die planetaren Grenzen zum Leitprinzip ihrer Politik machen und so auch zu mehr Umweltgerechtigkeit beitragen.
All das sollte nicht hintan gestellt werden, wenn nun die Sondierungen beginnen. Überaus berufene Unterstützung kommt dazu übrigens vom Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), der jüngst in einem Impulspapier zu den Koalitionsverhandlungen den Schutz der Biodiversität als oberste Priorität benannt hat. Die allgemeinen Willensbekundungen der Parteien sind da. Nun braucht es konkrete Wege zur Umsetzung. Die Stimme der Vernunft ist eindeutig. Der NABU und seine Partner werden alles dafür tun, dass sie auch den Weg in den Gehörgang der Politik findet und sich in deren Handeln manifestiert.
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