Naturschutz im neuen EU-Haushalt: Mut zur Lücke, falsche Stelle
Die ganze Präsentation wirkte chaotisch, aber am 16. Juli war es tatsächlich fast so weit: Die EU-Kommission hat ihren lang erwarteten Vorschlag zum Mehrjährigen Finanzrahmen der EU (MFR), den neuen siebenjährigen EU-Haushalt ab 2028, vorgestellt. Die Rechtstexte einzelner Fonds waren sogar erst am Morgen des 18. Juli verfügbar. Wir blicken auf die Details.
Vorausgegangen waren nächtliche Verhandlungen zwischen den verschiedenen Dienststellen der EU-Kommission, die teilweise erst in letzter Minute über die konkreten Texte informiert worden waren.
Damit hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Startschuss für die Verhandlungen zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten, der Kommission und dem Parlament gegeben. In den letzten Monaten wurde in Brüssel kaum ein anderes Thema diskutiert, denn die finanzielle Ausgestaltung des MFRs steuert politische Prioritäten, genauso wie Wirksamkeit und Umsetzung von EU-Gesetzgebung grundlegend für ganze 7 Jahre. In Anbetracht der geopolitischen Lage und neuen Prioritätensetzung hatte Ursula von der Leyen eine “radikale” Reform bisheriger Strukturen angekündigt, entsprechend groß war die Aufregung. Das neue Budget sollte drastisch vereinfacht, die einzelnen Förderinstrumente flexibilisiert und die Mittelverwendung performativ ausgestaltet werden. Die offiziellen Vorschläge zeigten: Die Kommission meinte es ernst, vergisst aber leider den Natur- und Umweltschutz.
Die grundlegende Struktur im Überblick
- Umfang des Budgets und grundlegende Architektur: Der nächste EU-7-Jahreshaushalt soll nach dem Vorschlag der Kommissionspräsidentin knapp 2 Billionen Euro groß sein – eine Zahl, die sicher in den Verhandlungen von den Staatschefs noch reduziert wird. Anstelle der rund 530 Fonds, die der derzeitige MFF beinhaltet, reduziert sich der Kommissionsvorschlag auf zwei wesentliche Säulen, die zusammen einen wesentlichen Teil des neuen EU-Budgets abdecken. Dessen zentrale Elemente sind ein Rahmenwerk zur Erstellung von 27 Nationalen und Regionalen Partnerschaftsplänen (NRPs) sowie einem Wettbewerbsfond (WF) (die Gesetzesvorschläge zu diesen Fonds haben wir ganz am Ende verlinkt). Vom Gesamtbudget erhalten die NRPs dabei 44 %, während der WF nur 13 % umfasst (vergleiche für das Zahlenverhältnis die Einzelbeträge der „Fonds“ in den jeweiligen Fonds-Verordnungen sowie den Gesamtbudgetvorschlag im Anhang zur allgemeinen MFR-Verordnung). Die restlichen 25 % des Gesamtbudgets fallen auf die Global Europe Facility für Ausgaben im Hinblick auf die Rolle der EU in der Welt, administrative Ausgaben der EU (wie etwa für Personal der Kommission) und die Rückzahlung der für den Corona-Wiederaufbau-Fonds aufgenommenen Schulden.
- Ein Herzstück: Die Nationalen und Regionalen Partnerschaftspläne: Die NRPs sind das neue Herzstück des MFF und schlucken traditionelle Posten, wie den Kohäsionsfond, die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) und den Europäischen Fond für Regionale Entwicklung (EFRE). Mit Ausnahme der GAP lösen sich diese Fonds in der neuen Architektur komplett auf. Was verbleibt, sind einzig und allein deren Prioritäten und Ziele. Die Programmierung und Verteilung der Gelder wird komplett über die neuen NRP-Pläne laufen, in denen die Mitgliedstaaten die Mittel einplanen und veranschlagen müssen. Die Pläne für die Verwendung der Mittel des Corona-Wiederaufbaufonds dienen hier als Blaupause. Als prominenteres Beispiel die GAP-Strategiepläne, mit wohl weniger Detailvorgaben, dafür mehr horizontalen Zielen. Die Pläne werden von den Mitgliedstaaten erstellt.
- Flexibilität und Performance-Mechanismus: In der konkreten Programmierung der Pläne erhalten die Mitgliedstaaten deutlich mehr Freiheit und Flexibilität, als sie es im Rahmen der bisherigen Programme haben. Der Verwaltungsaufwand verschiebt sich so von der Kommission auf die Mitgliedstaaten, genau wie die Verantwortlichkeit für die genaue Verwendung der Mittel. Es kann in Zukunft also nicht mehr allzu leicht auf Brüssel verwiesen werden, sobald Unzufriedenheiten aufkommen, wie es insbesondere bei der GAP häufig der Fall war. Im Gegenzug zur neugewonnenen Flexibilität für die Mitgliedstaaten will die Kommission ihre Kontrolle über die Mittel im Rahmen gewisser Compliance-Mechanismen erhöhen (allgemeine Regeln finden sich etwa in der Verordnung zum Tracking- und Performance-Rahmen, konkretere Regeln etwa zur Halbzeitbewertung der Pläne und zu Rechtsstaatlichkeit-Konditionalitäten wiederum in der Fonds-Verordnung zum NRP, wobei sich die finale Ausgestaltung, das genaue Zusammenspiel und die Wirksamkeit noch zeigen muss). Erreichen Mitgliedsstaaten ihre im Plan festgelegten Ziele aufgrund von Eigenverschulden nicht, oder verwenden die Mittel bewusst anderweitig, kann die Kommission innerhalb von zwei Monaten Mittel zurückhalten und bei weiterer non-compliance diese sogar neu programmieren lassen. Inwieweit diese Regeln im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch abgeschwächt werden, bleibt abzuwarten.
- Zwischenfazit zur grundlegenden Struktur: Auf den ersten Blick klingt diese neue Struktur nicht schlecht, Bürokratie könnte abgeschafft und der Zugang zu EU-Mitteln vereinfacht werden. Auch wird das Budget stärker an übergeordneten EU-Prioritäten ausgerichtet anstatt in einzelne starre Programme zu fließen – selbst, wenn aus unserer Sicht eine Lücke für den Natur- und Umweltschutz bei den Prioritäten klafft. Die Mitgliedsstaaten erhalten deutlich mehr Flexibilität, um ihre individuellen sozioökonomischen sowie geografischen Belange in der Mittelverwendung besser berücksichtigen zu können. Auf der anderen Seite möchte die Kommission Handlungsfähigkeit und Kontrolle sowie Überwachung über die Gelder verstärken, inklusive unbürokratischem Rückhalt bei Missbrauch oder eigen verschuldete Zielverfehlung. Allerdings ist es eher unwahrscheinlich, dass die Kommission die neuen Hebel auch effektiv nutzen wird, sollten diese im Gesetzgebungsverfahren überleben. Am Ende sitzen die Mitgliedsstaaten, in Teilen als Geldgeber, bei einer solch flexiblen Ausgestaltung meist am längeren Hebel.
Bedeutung für den Naturschutz in der EU
Wie die gesamtpolitische Lage und die bisherigen Debatten schon erahnen ließen, ist der neue EU-Haushalt kein Fortschritt im Kampf gegen Natur- und Klimakrise. Während der vergangene Haushalt noch in einem Europa ohne Krieg und mit freitäglichen Großdemonstrationen für Natur- & Klimaschutz verhandelt wurde, sind die aktuellen Debatten völlig andere. Das äußert sich auch deutlich in der Prioritätensetzung. Von einer Green Deal Zukunft oder gar Green Spending ist keine Rede mehr (obwohl die entsprechenden Gesetze wie die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur ja verabschiedet wurden und Finanzierung bedürften), Naturschutz ist vielmehr zu einer Randnotiz verkommen. Die noch enthaltenen Komponenten für den Naturschutz sind (Details folgen weiter unten):
- Ein übergreifendes Ausgabenziel in Höhe von 35 % für Klima und Umweltschutz, welches sich an den 6 Prioritäten der EU-Taxonomie (inklusive Schutz und Renaturierung von Biodiversität & Ökosystemen) orientieren soll.
- Eine gewisse Weiterführung von “LIFE-Aktivitäten”, als versteckte Minimalvorgabe in den NRPs und im WF, zentral durch die EU-Kommission verwaltet.
- Die Erwähnung von Naturschutz und Renaturierung als Unterprioritäten der “Clean Transition”-Säule innerhalb des WFs, vereinzelt auch in der NRP-Verordnung und der GAP innerhalb der NRPs.
- Die übergeordnete Anwendung des schon vom namentlich bekannten, aber kaum wirklich operationalisierten Do-No-Significant-Harm Prinzips (was auch zukünftig nicht vollends operationalisiert werden dürfte, weil es bei konsequenter Anwendung Ausgabeposten, wie die Flächengebundenden Direktzahlungen der GAP infrage stellen müsste), welches eine problematische Nutzung von Subventionen, durch einen standardisierten Prüfmechanismus verhindern soll.
Kein eigener Schwerpunkt mit Mittelausstattung zur Adressierung der Natur- und Klimakrise
Was es damit nicht gibt, ist ein Ausgabenschwerpunkt mit einer Mindestbudgetausstattung für Naturschutz- und Renaturierungsmaßnahmen, wie ihn viele Verbände und wir vom NABU auch gemeinsam mit BirdLife Europe gefordert hatten. Die Notwendigkeit hierfür hatten auch mehrere Mitgliedstaaten etwa bei Verabschiedung der Wiederherstellungs-Verordnung betont. Mit dem Verweis auf neue, bisher noch nicht bestehende materielle Vorgaben in den Mitgliedstaaten wäre es sinnvoll gewesen, hier einen neuen Fonds zu schaffen, um die Mitgliedstaaten bei der Durchführung der Verordnung zu unterstützen! Selbst die EU-Kommission hatte eine gute Woche vor Veröffentlichung des MFR-Vorschlags den EIR-Bericht 2025 lanciert, in dem es die Finanzierungslücke für den Naturschutz insgesamt auf 37 Milliarden Euro jährlich beziffert wird (siehe hierzu hier unseren Naturschätze-Retten-Blog vom 7. Juli).
Durch die Auflösung von LIFE und die Flexibilisierung der GAP (siehe unten) fallen jegliche vordefinierten naturschutzrelevanten Programme weg und es bleiben einzig und allein vage Kriterien und Möglichkeiten, aber keine Pflichten. Sollte sich diese vage Programmierung während der kommenden Verhandlungen nicht konkretisieren, entscheidet sich die Höhe der EU-Mittel für den Naturschutz am Ende allein nach dem Gusto der Mitgliedstaaten (was sowohl beim Corona-Aufbaufonds als auch bei den derzeitigen GAP-Strategieplänen eher nicht zum Ziel führte), und nach dem Willen der Kommission, die Mitgliedsstaaten zur Umsetzung ihrer Prioritäten zu bewegen.
In Anbetracht der aktuell schon untergeordneten Rolle dieses Postens droht die Finanzierungslücke für Naturschutz deutlich zu wachsen, und sich die Umsetzung von EU-Naturschutzgesetzgebung weiter zu verschleppen, auf Kosten unserer Lebens- und Wirtschaftsgrundlagen.
Die Zukunft von LIFE
LIFE als solches wird nach 2027 nicht weiter (als eigenständiger “Topf”) existieren. In Anbetracht der Architektur der Reform ist es leider nicht vorstellbar, dass LIFE im Rahmen der beginnenden Verhandlungen in derzeitiger Form seinen Weg zurück in den Vorschlag schafft. Jedoch hat die EU-Kommission die Wirksamkeit des Programms zumindest erkannt und erwirkt, dass „LIFE-Ziele“ in den Vorschlägen genannt werden. Wohl nicht zuletzt dank der deutlichen Stimmen aus den Umweltverbänden Brüssels und der Mitgliedstaaten.
Obwohl „LIFE-Aktivitäten“ versteckt im Vorschlag des NRPs, und vor allem unter der “Clean Transition” Säule im WF gelistet sind, ist fraglich, inwieweit LIFE-Projekte auch zukünftig realisiert werden können. LIFE-Aktivitäten sind lediglich als eine der verschiedenen Förderoptionen genannt (vergleiche die Auflistung in Art. 33 Abs. 1 (a). Eine Mindestausstattung für genau diese Aktivitäten ist nicht formuliert worden. Für den WF ist lediglich festgehalten, dass sich die indikative Fondsgröße von etwa €234 Milliarden aufteilt u.a. in überschaubare €26 Milliarden insgesamt für die “Clean Transition Säule” (oder etwa 11 % des indikativen Betrags des WF), aber €51 Milliarden für einen Digitalisierungs-Schwerpunkt und €125 Milliarden für einen Verteidigungs-Bereich (siehe Art. 4 Abs. 1 und 2 der WF-Verordnung). Unklar bleibt, ob und wie die Kommission sicherstellen wird, dass die Mitgliedsstaaten diese Posten bei der Programmierung ihrer NRPs berücksichtigen, und inwieweit LIFE-Aktivitäten im kommenden WF das Rennen machen. Denn im WF konkurrieren LIFE-Aktivitäten zum Naturschutz jetzt in einem Bieterwettbewerb mit anderen – oft kostspieligen – Maßnahmen beispielsweise zur Transformation und Dekarbonisierung des Verkehrs-, Industrie- oder Energiesektors (vergleiche die Auflistung in Art. 36 Abs. 1 WF-Verordnung), und stehen mit dieser Säule insgesamt parallel zu dem schwergewichtigen Verteidigungsschwerpunkt im WF.
Auf Grund der Steuerungsstruktur des WFs, werden die unter der Clean Transition Säule genannten „LIFE Projekte & Aktivitäten“ nunmehr durch verschiedene unternehmenslastige Expertengruppen und Ausschüssen mit ausgewählt werden. Damit dürfte die bisher für LIFE zuständige Exekutivagentur der Kommission (CINEA) wegfallen. Das könnte sich negativ auf die Qualität der Projekte auswirken. Fraglich ist auch, ob die vielen eher kleinen, aber zielgerichteten Projekte von heute in der neuen Struktur noch gefördert werden könnten und mit ihnen diverse zivilgesellschaftliche Akteure und Kommunen. Positiv ist lediglich, dass die in den Vorschlägen genannten „LIFE-Aktivitäten“ jetzt auch in größerem Rahmen denkbar sind, und damit möglicherweise auch größere Flächen dauerhaft wiederhergestellt werden können.
Das übergeordnete Ausgabenziel von 35 % für Klima und Umwelt
Im bisherigen MFF besteht ein übergeordnetes Ausgabenziel von 30 % für den Klimaschutz und 10 % für den Naturschutz. Für den nächsten EU-Haushalt rühmt sich die EU-Kommission, ein übergreifendes Ausgabenziel von 35 % eingeführt zu haben für eine der sechs Nachhaltigkeitsschwerpunkte der EU-Taxonomie. Dieses Ziel findet sich in Art. 4 Abs. 2 der übergreifenden Verordnung über einen Tracking- und Performance-Rahmen. Eine nähere Differenzierung innerhalb dieses allgemeinen Ziels gibt es nicht, es lässt sich also nicht sagen, wie viel des MFR genau in den Schutz der Biodiversität fließen soll.
Warum finden wir, dass dieses Ziel mehr vorgibt zu sein, als es wirklich liefern dürfte? Zunächst: gegen gutes Tracking nach fundierter Methodik haben wir nichts einzuwenden, das ist die Grundlage, um zu wissen, wohin das Geld fließt. Allerdings ist das Ziel schon größentechnisch nicht ambitioniert und dürfte mit “Business as usual” erfüllt werden. Denn bereits heute haben wir im MFR ein Ausgabenziel von 30% für den Klimaschutz und 10 % für Biodiversität (das aber selbst nach Kommissionseinschätzung nicht erreicht wird, ohne dass dies Folgen hätte). Trotz steigender Finanzierungslücke für Natur- und Umweltschutz, und erweiterter Zielsetzung fällt wurde das Gesamtziel verringert. Man kann also vielmehr von einem Ambitionsabbau sprechen.
Dazu kommt, dass die Methodik immer noch nicht alles abbildet, z.B. keine schädlichen Ausgaben, selbst wenn sie sich in der letzten Zeit verbessert hat. Der Hauptkritikpunkt ist aber, auch gestützt auf Erfahrungen mit den bestehenden Zielen, dass solche übergeordneten indikativen Ausgabenziele die Fonds-Struktur nicht verändern, d.h. nicht beeinflussen können für welche Maßnahmen überhaupt Geld zur Verfügung gestellt wird (wenn zum Beispiel LIFE im WF auf reine Projektförderung ausgerichtet ist, fließt hierdurch eben kein Geld in dauerhaftes Natura 2000 – Management oder in die Umsetzung der EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur, die eine Projektlaufzeit überdauern würden).
Und schließlich setzt ein solches Ausgabenziel, um nicht rein indikativ zu bleiben, immer noch einen Mechanismus voraus, um selbst, oder Mitgliedsstaaten dazu zu bringen bestehende Fonds und Programme anzupassen, sollte das Ziel verfehlt werden. Zwar mag sich der Mechanismus mit der stärkeren Ausrichtung an der Performance in den NRPs leicht verbessern. Unklar bleibt trotzdem, ob die Kommission dann den politischen Willen aufbringt, die Mitgliedstaaten “nachsitzen” zu lassen, und z.B. gegen die “GAP-Programmierung” vorgeht – insbesondere, wenn wieder der Druck der Bauernproteste droht. All diese Gründe zeigen, dass dieses Ziel nicht zu hoch gehängt werden sollte, und jedenfalls nicht den Applaus verdient, den die Kommission ihm (mangels anderer vorzeigbarer Erfolge) zuweist. Was letztens Endes zählt ist, wie viel Geld über die verschiedenen Fonds tatsächlich in einen Umschlag gesteckt wird für konkrete Naturschutzmaßnahmen, ohne allzu große Flexibilität für eine andere Programmierung durch die Mitgliedstaaten.
Die Vorschläge zur GAP
Die aktuelle GAP mit ihren beiden Säulen soll in einem größeren Fonds aufgehen, bleibt jedoch mit einem Mindestbudget von knapp 300 Milliarden Euro (vgl. Art. 10 Nr. 2 a) (ii) der NRP-Verordnung) versehen. Das entspricht ungefähr einer Reduktion des Agrar-Gesamtbudgets um 20 % im Vergleich zu heute (nicht aber zwangsweise der Direktzahlungen um diesen Betrag).
Die Kommission gibt eine Liste an Förderbereichen vor, für die das GAP-Budget verwendet werden kann, diese reicht von einer degressiven Flächenprämie, über Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen (AUKM), Junglandwirt*innen-Förderung und LEADER bis zur Investitionsförderung. Es gibt jedoch keinerlei Mindestbudget für Natur- und Klimaschutz- oder allgemein Agrarumweltmaßnahmen.
Die aktuellen Fördervoraussetzungen im Natur- und Klimabereich (GLÖZ) werden dahingehen soweit abgeschwächt, als dass es keine europäisch einheitlichen Kriterien mehr geben wird. Hier werden die Mitgliedstaaten mit der sogenannten “Farm stewardship” selbst die Flexibilität bekommen, diese für bestimmte vorgegebene Bereiche zu definieren (z.B. Boden, Grünland, Landschaftselemente, vergleiche Artikel 3 der GAP-Verordnung)).
Die Vorgaben zur Ausgestaltung der möglichen AUKM scheinen jedoch grundsätzlich positiv:
- Mehrjährige Programme sind möglich.
- Ökolandbau und extensive Tierhaltung muss gefördert werden.
- Es soll eine Art Transformationsförderung geben, die Betriebe dabei unterstützen soll, eine Umstellung Richtung Nachhaltigkeit zu finanzieren.
- Betriebe, die in roten Gebieten arbeiten und Nitratüberschüsse produzieren, müssen dabei unterstützt werden, nachhaltiger zu wirtschaften.
Positiv ist auch der Vorschlag, eine Degressivität und Kappung bei den Flächenprämien einzuführen (der aber so vermutlich nicht das Gesetzgebungsverfahren im Parlament und Rat überleben dürfte). Wenn der Vorschlag angenommen würde, könnten die GAP-Gelder gezielter und wirksamer eingesetzt werden:
- Ab einem Betrag von 25.000 Euro sinkt die Flächenprämie.
- Kein Betrieb soll mehr als 100.000 Euro bekommen.
- Die Flächenprämie soll zwischen 130 und 240 Euro/ha liegen.
Zwischenfazit zu den GAP-Vorschlägen: Aus naturschutzfachlicher Sicht ist ein fehlendes Mindestbudget und fehlende Mindestvorgaben für Standards für Natur- und Klimaschutz besorgniserregend und eine deutliche Abschwächung des Status Quo. Mit der vorgeschlagenen Architektur können die Mitgliedsstaaten selbst entscheiden, ob das Geld in die Flächenprämie oder in Honorierung von Gemeinwohlleistungen fließt, und wie hoch das Ambitionsniveau von Landschaftselementen, Grünland etc. in den Fördervoraussetzungen sein soll. Wenn die GAP nicht zu einer reinen Einkommensstütze mit einem “Race to the bottom” beim Umweltschutz verkommen soll, muss hier im Laufe der Verhandlungen dringend nachgebessert werden.
Kommende Schritte und Ausblick auf die Verhandlungen
Zeitplan: Wie geht es nun weiter? Mit der Veröffentlichung der Kommissionsvorschläge ist – wie oben einleitend erwähnt – zunächst der Startschuss gefallen. Die Gesetzgebungsverfahren dürften bis ins Jahr 2027 hineinlaufen, also mindestens 1,5 Jahre. Sie müssen rechtzeitig vor Ende 2027 abgeschlossen sein, um den Mitgliedstaaten noch Zeit für die “Programmierung” zu geben (selbst wenn partiell dann eine temporäre Verlängerung aktuell bestehender Regelungen vorstellbar ist, sollten beispielsweise die NRPs noch nicht fertig sein).
Gesetzgebungsverfahren: Auch hier sind die einzelnen Details naturgemäß so kurz nach Veröffentlichung der MFR-Vorschläge noch nicht festgelegt. Klar ist aber, dass die MFR-Verordnung (die im Anhang die Höhe des Haushalts und die Zuteilung auf die einzelnen “Headings” festlegt) selbst eine Rats-Verordnung ist, das Parlament hier also keine Mitentscheidung hat. Vorbereitende Verhandlungen verfolgen im “Rat für Allgemeine Angelegenheiten” (dieser bekam den MFR in seiner Sitzung am 18. Juli präsentiert), in Deutschland durch das Auswärtige Amt.
Die großen Linien und das finale Sagen haben die Staats- und Regierungschefs selbst, in Deutschland also das Kanzleramt (wobei in der Vergangenheit teils wegen der GAP auch das Landwirtschaftsministerium eingebunden wurde). Die nächsten regulären Europäischen Räte stehen am 23./24. November und dann 18./19. Dezember an. Die Zuständigkeit über die einzelnen Fachverordnungen muss sich noch zeigen.
Im Europäischen Parlament werden die übergeordneten Verordnungen wohl im Haushaltsausschuss federführend behandelt, über die entsprechenden Mitentscheidungsregeln in der Prozessordnung ist dort aber eine Einbindung der fachlich zuständigen Ressorts leichter realisierbar (also etwa des Agrar- und Fischerei-Ausschusses beim NRP). Die Detail-Verordnungen für die Agrar- und Fischereipolitik werden federführend in den entsprechenden Ausschüssen landen (abzuwarten bleibt, inwieweit der Umweltausschuss mitentscheiden kann). Der WF dürfte federführend im Industrieausschuss landen (auch hier sollte der Umweltausschuss Entscheidungskompetenz für LIFE beanspruchen).
Im Rat wiederum dürften die Fachverordnungen in den Fachräten landen, ohne dass es entsprechende Mitentscheidungsregeln gibt, sodass der WF vermutlich vom Wirtschaftsministerium verhandelt wird, und die GAP-/Fischerei-Verordnung vom Landwirtschaftsministerium (die Zuständigkeit für den NRP ist uns noch unklar).
Erwartbare Abschwächungen im Rat und Parlament: Auch wenn der Vorschlag bezüglich Umwelt- und Naturschutzes wenig Gutes enthält, schon jetzt ist – gestützt auf unsere Erfahrungen – absehbar, dass die Ko-Gesetzgeber Abschwächungen an den wenigen “progressiveren” Elementen des Vorschlags vornehmen. So kündigte die Bundesregierung bereits (siehe z.B. hier) Widerstand gegen die Höhe des Budgets an (wobei die Höhe für uns zunächst kein ausschlagendes Kriterium für die Wirksamkeit des Budgets ist). Bei Kürzungen ist aber zu befürchten, dass dies nicht bei den ineffizienten Direktzahlungen der Agrarpolitik erfolgt, sondern bei anderen Maßnahmen. Gerade die etwas progressiveren Vorschläge z.B. bezüglich der Degression und dann Kappung der flächengebundenen Direktzahlungen (vorgesehen ist auf 100.000 Euro pro Empfänger), die ja eine fairere Verteilung der vorhandenen Gelder (trotz Gießkannenprinzip Flächenprämie) ermöglichen soll, sorgten schon für Empörung. Damit stehen sie auf der Abschussliste konservativer Politik – CDU-Abgeordnete im Europäischen Parlament beschwörten gar das massenweise Sterben der Höfe in Ostdeutschland herbei (siehe z.B. diesen Post der Abgeordneten Walsmann auf Instagram).
Von Lukas Traup, Dr. Raphael Weyland und Laura Henningson
Links zu den Verordnungsentwürfen und ersten Kommentaren
- Allgemeine Kommissions-Seite zum MFR
- Übergreifende MFR-Verordnung und Anhang
- Tracking- und Performance-Rahmen
- Europäischer Wettbewerbsfonds (WF)
- NRP-Verordnung
- Detail-Verordnung zur GAP
- Tagesschau-Kommentar von Helga Schmidt: Kommentar zu EU-Haushaltsplänen: Mut zu Reformen – nur nicht bei Agrar | tagesschau.de
- Zeit-Artikel: Agrarpolitik: Das wird eine Ackerei | DIE ZEIT

2 Kommentare
Jörg
22.07.2025, 17:31Anscheinend haben wir in naher Zukunft Zustände wie in den USA. Dort haben Trump und Co. die Naturschutzfinanzierung auf ein absolutes Minimum zusammengekürzt und so gut wie alle Ranger in Nationalparks und Schutzgebieten entlassen. Von den zahllosen weiteren Gesetzen zu Ungunsten von Natur und Tieren mal abgesehen. Es kann einem Angst und Bange werden um die Zukunft von Erde und Natur.
AntwortenMatthias Luy
24.07.2025, 14:50Danke für die aufwändige Recherche und fundierte Analyse! Unfassbar, dass so geringe Ambitionen beim Natur- und Klimaschutz bestehen. Daseinsvorsorge sieht anders aus.
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