Meeresschutz: (noch) kein Land in Sicht

Meeresschutz: (noch) kein Land in Sicht

Aktuelle Gesetzgebungsverfahren zeigen: Deutschland muss das Sektordenken überwinden, um beim Meeresschutz endlich voranzukommen. Die im November 2025 im Bundestag und Bundeskabinett beratenen Gesetzentwürfe stehen symptomatisch für die Zersplitterung der deutschen Meerespolitik.

Mit gleich fünf Gesetzen werden die Weichen in den Meeren gestellt, aber eine klare Zielrichtung ist nicht erkennbar. Werfen wir einen kurzen Blick auf die einzelnen Prozesse:

Rohstoffabbau in Schutzgebieten weiter mit Ausnahmen

In erster Lesung beriet der Bundestag am 6. November ein Gesetz, das den Rohstoffabbau in Naturschutzgebieten im Meer begrenzen soll. Grundsätzlich ein richtiger Schritt, um Meeresschutzgebiete endlich zu wirklichen Refugien für die Natur zu machen. Denn wo an Land die Natur Vorrang hat, ist heute im Meer fast alles erlaubt: Fischerei Schifffahrt, Sand- und Kiesabbau, Pipelines, die Liste lässt sich fortsetzen. Wenn nun die Öl- und Gasförderung aus Meeresschutzgebieten verbannt werden soll, ist das richtig und wichtig, aber angesichts des schlechten Zustands von Nord- und Ostsee zu kurz gesprungen.

Die Bundesregierung muss nachlegen und auch weitere Nutzungen beschränken. Beginnend mit dem Ausschluss auch für den Kies- und Sandabbau muss das Ziel sein, auf mindestens der Hälfte der Schutzgebietsflächen alle Nutzungen auszuschließen.

Schutz der Hohen See

Deutlich leichter fällt jeder Bundesregierung traditionell der Schutz der Hohen See, weit entfernt von der eigenen Haustür. Der größte Teil der Meere weltweit liegt außerhalb der Hoheitsbefugnisse einzelner Staaten. Um dort die biologische Vielfalt schützen zu können, haben sich die Vereinten Nationen vor zwei Jahren auf ein Hochseeschutzabkommen geeinigt. Mit ihm sollen etwa Umweltverträglichkeitsprüfungen für menschliche Aktivitäten eingeführt und die Einrichtung und von wirksamen Meeresschutzgebieten geregelt werden. Die Umsetzung des Hochseeschutzabkommens steht derzeit für den 19. November auf der Tagesordnung des Bundeskabinetts. Es ist gut, wenn das Gesetz schnell beschlossen wird und Deutschland seinen Beitrag zum internationalen Meeresschutz leistet.

Wo bleibt der Meeresschutz beim Offshore-Ausbau?

Doch warum ist die Bundesregierung gerade beim Schutz der Meere vor menschlichen Aktivitäten vor der eigenen Haustür deutlich großzügiger? Was auf hoher See schützen soll, droht für die Nordsee mit der derzeit im Bundestag beratenen Änderung des Windenergie-auf-See-Gesetzes abgeschafft zu werden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung will nahezu flächendeckend Umweltverträglichkeitsprüfung, artenschutzrechtliche Prüfung und FFH-Verträglichkeitsprüfung abschaffen. Das verstößt gegen Europarecht, wie ein Rechtsgutachten im Auftrag des NABU zeigt.

Die angekündigte Beschleunigung des Ausbaus wird dabei ausbleiben, weil die Umweltprüfungen gar nicht bremsend wirken, sondern sich nach Aussage der Industrie gut in den Planungsprozess integrieren lassen. Eintreten werden dagegen massive Schäden am Ökosystem Meer, mit der Folge zunehmender Rechtsunsicherheiten in den Einzelplanungen. Denn nach aktueller Forschung sind verpflichtende Meeresschutzziele mit dem derzeitigen deutschen Ausbauziel von 70 GW Offshore Wind unerreichbar. Es ist höchst fraglich, ob mit dem Gesetzentwurf die erwarteten Umweltschäden rechtzeitig erkannt und in Genehmigungen berücksichtigt werden können. Ohnehin steht der Meeresschutz wegen des sogenannten „überragenden öffentlichen Interesses“ der Windenergie nur in zweiter Reihe.

Von Wasserstoff bis CO₂: Moleküle im Meer

Doch die Meere sollen nicht nur „grüne Kraftwerke“ sein, sondern auch unsere Sünden der fossilen Energiegewinnung wegwaschen. Das am 6. November im Bundestag beschlossene Kohlendioxid-Speicherungsgesetz ebnet den Weg, das Klimagas CO₂ über sogenannte Kohlendioxid Abscheidung und Speicherung (englisch abgekürzt CCS) im Meeresboden zu speichern. Auch das wird mit Eingriffen für Pipelines und Anlagen zur Verpressung verbunden sein. CO2-Moleküle sollen also im Meer verschwinden.

Liefern sollen die Meere absehbar dagegen das winzig kleine Wasserstoffmolekül, produziert aus Windstrom und aufgespaltenem Meerwasser. Das dafür von der Bundesregierung eingebrachte Wasserstoffbeschleunigungsgesetz wurde ebenfalls am 6. November in erster Lesung im Bundestag beraten. Neben der hohen Wirkverluste der Wasserstoffproduktion und -nutzung (bis zu zwei Drittel der verwendeten Energie können in der gesamten Prozesskette verloren gehen) verschärft die Elektrolyse auf dem Meer deren bestehende Überlastung. Besonders die entstehende Abwärme wird die Meere weiter anheizen, die heute schon unter Hitzewellen leiden. Chancen dagegen eröffnen gebündelte Elektrolyse-Hubs an Land, die gezielt Überkapazitäten nutzen und so die Abschaltung von Windparks in Zeiten einer Strom-Überproduktion verhindern. Aktuell bleibt etwa ein Viertel des offshore erzeugten Stroms ungenutzt. Zudem ließe sich an Land die Abwärme für Wärmenetze nutzen. Dieser Weg sollte beim Wasserstoff weiterverfolgt und im laufenden Gesetzgebungsverfahren priorisiert werden.

Wo ist der gemeinsame Kompass der Meerespolitik?

Die Bilanz all dieser Gesetze: Etwas mehr Schutz, zugleich deutlich mehr Nutzung. Manche Moleküle rein, andere Moleküle raus. Meere zur Produktion grünen Stroms und für die Verstetigung der Fossilen via CCS. Ein klarer gemeinsamer Kurs der Bundesregierung, der die Energiewende in Balance mit den Verpflichtungen des Meeresschutzes bringt, ist hier nicht erkennbar, wäre aber dringend nötig. Denn die frisch erschienene Naturbilanz stellt Deutschland auch im 33. Jahr nach Inkrafttreten der europäischen Naturschutzrichtlinie ein schlechtes Zeugnis aus:  Riffe, Sandbänke, Schweinswal sind allesamt in schlechtem Zustand, eine Verbesserung nicht erkennbar.

Ähnlich „rot“ sieht es im Zustandsbericht der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie aus. Die Ursachen sind bekannt und Symptome chronisch überlasteter Meere. Im sektoralen Wünsch-Dir-Was drängen immer neue Nutzungen ins Meer. Es fehlt eine Gesamtkoordinierung, die das Ökosystem Meer, seine Belastungsgrenzen und alle Nutzungen gemeinsam im Blick hat und Abwägungsentscheidungen bündelt. Soll eine neue Nutzung im überlasteten System möglich werden: Auf welche andere Nutzung verzichten wir als Gesellschaft dann? Ein sicher nicht leichter, vielleicht schmerzhafter Abwägungsprozess. Aber er ist dringend nötig. Um zu verhindern, dass die Überlastung immer weiter steigt, um Naturschutzziele wieder in Reichweite zu rücken, und um uns und künftige Generationen durch die lebensnotwendigen Leistungen des Ökosystems Meer abzusichern.

Gesamtstrategie bleibt eine gute Idee

Um die Silos der Einzelentscheidungen zu verlassen, bräuchte es eine Gesamtstrategie, einen gemeinsamen Fahrplan der Bundesregierung, der darauf abzielt, bei der Überlastung der Meere endlich eine Trendwende zu erreichen. So eine nationale Meeresstrategie stand im Koalitionsvertrag der vergangenen Legislatur, scheiterte am Ampel-Aus, aber bleibt angesichts der jüngsten Entwicklungen eine gute Idee.

Die Lösungen dafür liegen auf dem Tisch: Beim sogenannten Ökosystemansatz wird die Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Ökosystems selbst ins Zentrum der Entscheidungen gestellt. Es setzt den Rahmen, innerhalb dessen unterschiedliche Nutzungen möglich sind, ohne Ökosystemfunktionen zu gefährden. Für die Praxis bedeutet das, zersplitterte Ressortzuständigkeiten der Meerespolitik neu zu organisieren und zu bündeln. Dann haben wir die Chance, beim Meeresschutz endlich voranzukommen und angesichts von Klimakrise und Artensterben gesunde und widerstandsfähige Meere als Verbündete an unserer Seite zu haben.

Von Dr. Anne Böhnke-Henrichs, Referentin für Meeresschutz.

Anne Böhnke-Henrichs

Referentin & Stellvertretende Teamleiterin Meeresschutz

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