Wie grün ist der Deal?

Wie grün ist der Deal?

Die Mondlandung der Ursula von der Leyen: Ein großer Sprung für die Kommissionspräsidentin, aber leider nur ein erster Schritt auf Europas Weg in die Nachhaltigkeit. So beurteilen der NABU und viele Umweltverbände in Europa den gestern in Brüssel vorgestellten „European Green Deal“. Wir haben uns die einzelnen Abschnitte genauer angeschaut.

Was die Präsidentin gestern in Brüssel als „Mensch-auf-dem-Mond-Moment“ für Europa bezeichnete, ist tatsächlich Neuland: Noch nie hat eine EU-Institution in diesem Umfang und mit diesen Ambitionen das Thema Umwelt nach vorne gestellt. Auf 23 Seiten wird eine Fülle von Absichtserklärungen in vielen Bereichen des Klima-, Umwelt- und Naturschutzes vorgestellt. Noch vor wenigen Jahren, unter ihrem Vorgänge Jean-Claude Juncker, wäre das nie denkbar gewesen, da ging es um den Abbau von Umweltstandards, das Wort Biodiversität war ein Fremdwort und der Klimaschutz in den Kinderschuhen. Dass nun eine CDU-Politikerin, noch vor kurzem Bundesverteidigungsministerin, Europa zum Vorreiter in allen grünen Bereichen machen will, das ist sicher zu einem großen Teil der Fridays-for-Future-Bewegung zu verdanken, aber auch der erfolgreichen Mobilisierung der Umweltverbände zur Europawahl. Vor allem aber ist es eine Anerkennung der dramatischen Alarmrufe aus der Wissenschaft über die Megakrise aus Erderwärmung und Artensterben. Die Entscheider-Generation der Ursula von der Leyen ist die letzte, so sinngemäß viele Forscher, die noch irreversible Kipppunkte im Erdsystem abwenden kann.

Doch was steckt wirklich hinter dem Green Deal und warum fällt das Urteil in den Pressemitteilungen der Umweltverbände (NABU, DNR, BirdLife Europe, BUND, WWF, Greenpeace) überwiegend eher verhalten bis ernüchtert aus? Liegt es an der Fallhöhe zwischen Ankündigungen und Realität? An der krassen Diskrepanz zwischen dem, was die Wissenschaft für Notwendig erachtet und dem nun Vorgeschlagenen? Oder an einer düsteren Vorahnung, da sich schon Minuten nach der Veröffentlichung diejenigen in Stellung brachten, die jegliche Fortschritte zu bremsen versuchen, seien es Teile der deutschen Industrie oder die kohleaffinen Regierungen von Ungarn und Polen. Denn alles was die Europäische Kommission vorschlägt, muss letztlich von den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament verabschiedet werden.

In der folgenden Aufstellung hat der NABU wichtige Kapitel des „European Green Deal“ in einem Ampelschema bewertet, grün („hier geht es wirklich voran“), gelb („mehr Deal als Grün“) und rot („falsche Richtung“). Eine weitere Bewertung findet sich beim Deutschen Naturschutzring (PDF-Download).

Die Vorrede: Große Worte und Wachstumsdogma

Offenbar vor allem um ihr eigenes politisches Lager zu beruhigen, aber in der Symbolkraft nicht zu unterschätzen: In der Pressekonferenz und gleich im zweiten Absatz des Papiers spricht Ursula von der Leyen vom Green Deal als „neue Wachstumsstrategie“. Zwar wird das „alte fossile“ Wachstum als nicht mehr zeitgemäß gesehen, aber das Wirtschaftswachstum als dominierenden Indikator für unser Wohlergehen will man nicht in Frage stellen. Überhaupt wird die Reduzierung des Konsums wie es die Wissenschaft anmahnt, zum Beispiel im Bereich Fleisch und Milch, nicht angetastet.

Groß ist der Spagat zwischen der Sprache über eine notwendige tiefgreifende Transformation vieler Wirtschaftsbereiche und der dann folgenden oft sehr abstrakten, kleinteiligen und/oder unverbindlichen Maßnahmen.

Klimaschutz bis 2030 und 2050: (Zu langsamer?) Aufbruch zur Klimaneutralität

Vergleichsweise positiv bewertet der NABU das geplante EU-weite Klimaschutzgesetz. Mit ihm will die EU festschreiben, bis 2050 klimaneutral zu werden. Der Weg dorthin bleibt jedoch unklar. Fatal ist die Ankündigung der Kommission, bis 2030 nur 50 Prozent der Treibhausgase reduzieren zu wollen. Das ist zu wenig, um die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Problematisch ist auch, dass die EU ihr 2030-Ziel erst bis Sommer 2020 erhöhen will. Das könnte zu spät sein für die wichtige Klimakonferenz am Ende des Jahres, die auf ambitioniertere Vorhaben angewiesen ist.

Mobilisierung der Industrie für eine saubere Kreislaufwirtschaft: Schlagworte, denen die Maßnahmen fehlen!

Der Green Deal erkennt endlich das immense Klimaschutzpotenzial der Kreislaufwirtschaft. Bis März 2020 soll es einen „Circular Economy Action Plan“ geben, der zu einem ressourcenschonenderen Wirtschaften und nachhaltigen Produkten führen soll. Die Kommission nennt wichtige Themen wie (Mikro-)Plastik, Textilien, Elektrogeräte und Batterien. Diese Schlagworte müssen in den kommenden Wochen und Monaten mit Maßnahmen konkretisiert werden. Entscheidend wird hierbei sein, dass nicht nur wertschöpfungsorientierte Instrumente zur Förderung des Recyclings eingesetzt werden. Auch Suffizienzansätze, die Materialeinsatz und Abfallaufkommen reduzieren, müssen gestärkt werden.

Beschleunigter Wandel hin zu nachhaltiger und intelligenter Mobilität: Gute Vorsätze, aber Irrglauben an Biokraftstoffe.

Der Green Deal setzt richtigerweise konsequent auf die Stärkung umweltfreundlicher Verkehrsträger sowie emissionsfreier Antriebe und schlägt hier auch die Brücke zur industriepolitischen Notwendigkeit, die europäische Automobilproduktion auf zukunftsfähige Antriebskonzepte umzustellen. Leider wird alternativen Kraftstoffen, also synthetischen und Biokraftstoffen zu viel Raum eingeräumt.

Die geplante Einbeziehung des Verkehrssektors in den europäischen Emissionshandel (ETS) wird nach Einschätzung der meisten Fachleute bis 2030 nicht zu signifikanten Emissionsminderungen führen und ist deshalb kritisch zu sehen. Anders im Bereich Schiff- und Luftfahrt, deren CO2-Emissionen künftig erstmals oder verstärkt im ETS reguliert werden sollen.

Vom Acker zum Teller: Entwicklung einer fairen, gesunden und umweltfreundlichen Lebensmittelversorgung: Ungerechtfertigtes Vertrauen in die Mitgliedstaaten.

Enttäuschend ist der Abschnitt zu Landwirtschaft und Ernährung. Trotz erdrückender Beweislast der Wissenschaft, der Rechnungshöfe und immer neuer Skandale um den Missbrauch der Subventionen will die EU-Kommission an ihrem Vorschlag für die künftige EU-Agrarpolitik (GAP) festhalten, der noch aus der Juncker-Ära stammt als von Green Deal noch nichts zu sehen war. Die Aussage, die GAP trage ja zu 40 Prozent zum Klimaschutz bei ist längst vom Europäischen Rechnungshof als unrealistisch oder sogar als aus der Luft gegriffen bezeichnet worden. Völlig offen ist, ob es der Kommission gelingen wird, bei den nationalen GAP-Umsetzungsplänen der Mitgliedstaaten auf ausreichender Umweltambition zu bestehen. Dies scheint das einzige Pferd zu sein, auf das die Kommission setzt – ein schlechtes Zeichen auch für den fairen Wettbewerb im Binnenmarkt (mehr zur GAP in unserem GAP-Ticker).

Der NABU begrüßt zwar den Vorschlag für eine „Nahrungsmittelstrategie“ vom Acker bis zum Teller („farm to fork“) und den erklärten Willen der Kommission zur Reduzierung der Anwendung chemischer Pestizide. Ein konkretes Reduktionsziel von 50 Prozent wurde jedoch offenbar in letzter Minute gekippt. Jetzt vertraut man wohl auch hier auf den guten Willen der Mitgliedstaaten.

Schließlich fehlt ein klares Ziel, den zu hohen Konsum von Tier- und Milchprodukten zu reduzieren. Mit Blick auf die weltweiten Folgen für Natur und Klima sowie die menschliche Gesundheit ist dies überfällig.

Schutz und Wiederherstellung der Ökosysteme und der Biodiversität (einschließlich Meeresschutz): Viele Fragen bleiben offen.

Die Zeit drängt dramatisch angesichts des grassierenden Artensterbens in Europa und weltweit wie wissenschaftliche Berichte in den letzten Monaten gezeigt haben. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Jean-Claude Juncker, für den Biodiversität ein Fremdwort geblieben ist, stellt Ursula von der Leyen das Thema sehr weit nach oben, wenn auch immer (oft zu unrecht) im Schatten des Klimaschutzes. Denn die Erdüberhitzung ist nicht nur Ursache sondern auch Folge des Artensterbens – zwei Seiten derselben Medaille.

Ausgerechnet beim Naturschutz fehlt jedoch im Green Deal die Substanz. Alle konkreten Maßnahmen werden hier auf die EU-Biodiversitätsstrategie verschoben, die erst Ende Februar vorliegen soll. Die Frage der Naturschutzfinanzierung bleibt völlig außen vor, obwohl dies das Hauptproblem bei der Umsetzung der EU-Naturschutzrichtlinien ist.

Bei einer Kernforderung des NABU bleibt die Kommissio sehr vage. Damit die Funktionsfähigkeit der Natur erhalten bleibt, fordert der NABU, dass jeder EU-Staat auf 15 Prozent seiner Fläche bis 2030 geschädigte Ökosysteme wiederherstellt – und es hierfür eine neue EU-Gesetzgebung gibt. Diese erwäht der Green Deal immerhin als mögliche Option. Wiedervernässte Moore, fischereifreie Zonen im Meer und naturnahe Wälder sind notwendige Verbündete im Kampf gegen das Artensterben und die Klimakrise.

Die geplante Waldstrategie mit ihrem Fokus auf Aufforstung könnte sich dagegen als gefährlicher Rückschritt für den Naturschutz erweisen. Der NABU warnt davor, die Fehler des blinden Glaubens an Biokraftstoffe zu wiederholen. Holzplantagen zur Energiegewinnung wären klima- und naturschutzpolitisch der völlig falsche Schritt. Viel wichtiger wäre jetzt der Umbau der vorhandenen Wälder hin zu klimawandelsicheren, gemischten Wäldern, die Kohlenstoff und Wasser speichern.

Weitgehend unbeantwortet lässt die Kommission auch, wie sie die Meere vor Überfischung, Verschmutzung und den Folgen der Klimakrise schützen möchte. Zwar erkennt sie Meere als natürliche Kohlenstoffsenken an, betont aber zugleich ihre Bedeutung für den Ausbau von Aquakultur, erneuerbarer Energien und den Abbau mariner Ressourcen. Ein Bekenntnis zur Rettung der Artenvielfalt unter Wasser und Schutzgebieten fehlt völlig.

Die EU will auf der Biodiversitätskonferenz der UN im Oktober 2020 – unter deutscher Präsidentschaft – weltweit Vorreiter im Naturschutz werden. Doch bis dahin müssen noch viele Hausaufgaben gemacht werden.

„Null-Verschmutzung“ – für eine giftfreie Umwelt. Was zählt sind Taten.

Die Reduzierung von Schadstoffeinträgen soll mit einem „Aktionsplan Nullemissionen“ umgesetzt werden. Die Luftqualitätsgrenzwerte sollen den WHO-Richtlinien angepasst werden. Klar erkennbar ist auch der Wille, hier künftig verstärkt auf die Umsetzung bestehender Standards zu setzen.

Grünes Finanzwesen  und Investitionen in einen sozialverträglichen Wandel. Naturschutz und Landwirtschaft bleiben außen vor.

Die Transformation wesentlicher Lebens- und Wirtschaftsbereiche hin zu einer klimaneutralen Ökonomie bedarf erheblicher Investitionen. Daher ist es konsequent, auch den Bereich der Finanzen stärker auf nachhaltige Investments auszurichten. Zudem sollen 25% der europäischen Fördermittel klimabezogenen eingesetzt und 20% der im Europäischen Emissionshandel (ETS) vereinnahmten Mittel in Klimaschutzmaßnahmen investiert werden. Es fehlt jedoch eine ähnliche Zweckbindung von Fördermitteln für Naturschutzmaßnahmen. Außerdem zeigt der größte Haushaltsposten, die EU-Agrarpolitik (GAP), dass die Kommission mit falschen Zahlen agiert. Der Europäische Rechungshof hat 2018 die Aussage, die künftige GAP würde zu 40% zum Klimaschutz beitragen, als „unrealistisch“ bezeichnet.

Ein „Just Transition“-Fonds soll eingerichtet werden, um den anstehenden Strukturwandel wichtiger Industriezweige auch finanzpolitisch zu flankieren und drohende, soziale Verwerfungen abzufedern. Vernachlässigt wird dabei, dass es im bestehenden EU-Haushalt, gerade in der GAP, ausreichend Mittel gäbe um Landwirten eine sozialverträglichen Wandel zu ermöglichen. Stattdessen profitieren von diesen vor allem das Agrarbusiness und die größten Betriebe, wie auch eine gerade erschienene New York Times- Recherche zeigt.

Mobilisierung von Forschung und Innovationen: Blinde Technikgläubigkeit statt soziale Innovationen.

Neue Technologien und disruptive Innovationen sollen in neuen Wertschöpfungsketten münden und die Technologieführerschaft Europas bestärken. „The full range of instruments“ will die EU-Kommission dafür einsetzen, nennt dann jedoch nur wieder technologische Innovationsansätze. Ein wesentliches Hebel, um den Klimawandel und Biodiversitätsverlust wirksam zu bekämpfen, wird noch nicht einmal erwähnt. Weniger Konsum, soziale und kulturelle Innovationen, um mit den BürgerInnen in eine Reflektion zu ihren Wohlstands- und Zukunftsideen zu kommen oder institutionelle Innovationen, die die Dominanz der Wirtschaft im Forschungs- und Innovationsökosystem aufbrechen – Fehlanzeige. Die Industrie kann mit Better Regulation im Doppelpack mit Innovation einen vollen Lobbyerfolg verbuchen.
Zu begrüßen ist die Einsicht, dass die Menschen in ihrem Umfeld auf der lokalen Ebene in die Zukunftsgestaltung mit einbezogen werden sollen. Hier will die EU Plattformen bereitstellen und EU weit best practices vernetzen. Zu hoffen bleibt, dass die BürgerInnen Europas ihre „faire und prosperierende“ Zukunft auf weniger Güter und mehr Natur aufbauen wollen.

Ein grüner Schwur für umweltverträgliche Gesetzgebung („Do no harm“): Das Ende der Deregulierung?

In drei kurzen Abschnitten beendet die EU-Kommission de-facto das Primat der „Deregulierung“ mit dem die Juncker-Kommission gestartet war. Dies ist womöglich auch ein Effekt des gesunkenen britischen Einflusses seitdem – auch wenn die Bundesregierung, vor allem das Wirtschaftsministerium, leider versucht, diese Lücke zu schließen. Jetzt bedeutet „Bessere Rechtssetzung“, dass alle EU-Vorschriften konsistent mit den Zielen des Green Deal sein müssen – und daraufhin überprüft werden sollen. Vielleicht kommt jetzt ja noch der überfällige „Fitness Check“ der EU-Agrarpolitik, den die Kommission bisher verweigerte (weshalb der NABU einen solchen in Auftrag gegeben hatte)?

Stärkung der Rechte der Zivilgesellschaft: Anpassung der Aarhus Verordnung.

Längst überfällig, nun zumindest aufgeschrieben: Die Kommission will die völkerrechtlich vorgeschrieben Rechte von Einzelpersonen und Verbänden im Umweltbereich EU-weit absichern, durch eine Aktualisierung der sogenannten Aarhus-Verordnung. Damit soll der Zugang zu Gerichten deutlich vereinfacht werden, was in vielen EU-Ländern bisher nur unzureichend der Fall ist.

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