Insektenschutz in der EU: Wo stehen wir?
Den Insektenschwund bis 2030 umzukehren – und das EU-weit: ein überlebenswichtiges Ziel. Festgeschrieben ist es in der Biodiversitätsstrategie 2030 und der neuen EU-Wiederherstellungsverordnung, doch die Realität ist ernüchternd. Haben wir noch eine Chance?
Viele große Hebel wurden schon gezogen, manche Chance verpasst. Der EU-Grünlandschmetterlingsindex sowie Zahlen aus dem Nationalen Tagfaltermonitoring Deutschland lassen darauf schließen, dass Bestäuberpopulationen weiterhin rasant sinken. Insektenschutz ist also mindestens genauso dringend wie vor ein paar Jahren, als das Thema noch große öffentliche Aufmerksamkeit hatte. Es geht immer noch darum, den Abwärtstrend aufzuhalten.
Der Versuch, mit einer Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) verbindliche Pestizidreduktionsziele festzuschreiben: gescheitert. Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP): bislang mehr Rückschritte für den Naturschutz als Fortschritte.
Ohne Geld, keine Projekte, kein Schutz

Die Gottesanbeterin ist eine der wenigen Insekten-Arten, deren Populationen rasant ansteigen. (Foto: NABU/CEWE/Adrian Scheel)
Umso wichtiger ist es, beim kommenden Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) genügend Mittel für den Bestäuberschutz einzuplanen – denn davon hängt ab, welche Maßnahmen überhaupt umgesetzt werden können.
Damit ist klar: Wir müssen das bestehende Regelwerk verteidigen, lückenlos anwenden und gezielt verbessern. Die EU ist aktuell vor allem ein Schutzwall gegen Rückschritte. Die EU-Wiederherstellungsverordnung (WVO, englisch: NRL) ist das zentrale neue Instrument um auch Fortschritte zu machen. Der Ball liegt jetzt aber bei den Mitgliedsstaaten, die sie umsetzen müssen. Neue politische Instrumente für den Insektenschutz wird es von dieser EU-Kommission vermutlich nicht geben.
Eine Insektenschutzpolitik für die ganze EU bleibt entscheidend
Insekten machen an Landesgrenzen keinen Halt. Wandernde Arten wie das Taubenschwänzchen legen weite Strecken zurück, viele Lebensräume erstrecken sich über mehrere Länder. Aber die meisten Arten brauchen vor allem intakte, gut vernetzte Lebensräume vor Ort.
Genau hier liegt die Stärke der EU: Sie schafft verbindliche Rahmenbedingungen für alle Mitgliedsstaaten. Mit der Fauna-Flora-Habitat- (FFH) und der Vogelschutzrichtlinie gibt es schon seit Jahrzehnten zentrale Naturschutzinstrumente. Allerdings decken sie mit 118 Insektenarten nur einen winzigen Teil der mehr als 75.000 bekannten Insektenarten Europas ab. Diese Auswahl unterliegt allerdings keinen klaren ökologischen Kriterien: es sind nur einige Käfer, Schmetterlinge und Libellen. Wichtige Gruppen wie Wildbienen oder Schwebfliegen fehlen vollständig.
Ein Rahmen mit Grenzen: die Bestäuberinitiative
Mit der EU-Bestäuberinitiative (2018, revidiert 2023) hatte die EU erstmals einen spezifischen Rahmen für Bienen, Schmetterlinge und Schwebfliegen geschaffen. Die drei Prioritäten:
- Wissen erweitern: Monitoring, Ursachenforschung, Rote Listen.
- Lebensräume schützen: Renaturierung, Pestizidreduktion, Schutzgebietsmanagement.
- Gesellschaft mobilisieren: Bildung, Forschung, Kooperation.
In der Theorie: ein vielversprechender Ansatz. In der Praxis: Fortschritte bei Monitoring und Öffentlichkeitsarbeit, aber politisch blockierte Schritte beim Lebensraumschutz.

Pinselkäfer (Foto: Frank Derer)
Besonders deutlich zeigte sich diese Blockade beim Anpassungsversuch eines der wichtigsten Hebel für den Insektenschutz: der Reduktion des Pestizideinsatzes. Die sogenannte Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (Sustainable Use Regulation, SUR) hätte die Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 verbindlich machen sollen – ein zentrales Ziel der „Farm-to-Fork“-Strategie des Green Deal. Doch das Europäische Parlament hat den Entwurf im November nach langen Verhandlungen 2023 abgelehnt. Deshalb bleiben zu ergreifende Maßnahmen und Vorgaben im Rahmen der unverbindlicheren Richtlinie zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (Sustainable Use Directive, SUD) weiterhin im Ermessen der Mitgliedsstaaten und vage. Ein Rückschlag mit Signalwirkung, weil die unverbindlichere Richtlinie in den vergangenen Jahrzehnten zu keiner Reduktion geführt hat.
Die WVO: Ein Meilenstein – wenn sie wirkt
Durch die 2024 in Kraft getretene Wiederherstellungsverordnung hat die EU neue Chancen auch für den Insektenschutz geschaffen. Im Artikel 10 verpflichtet sie die Mitgliedsstaaten, den Rückgang der Bestäuber bis 2030 zu stoppen und danach umzukehren. Zusätzlich wird der Grünlandschmetterlingsindex als verbindlicher Indikator für Agrarlandschaften eingeführt. Ein Delegierter Rechtsakt zu Artikel 10, der noch im Sommer 2025 beschlossen werden soll, schafft erstmals ein einheitliches Monitoringverfahren auf EU-Ebene. Das Insektenmonitoring (EUPoMS), Informationsplattformen wie der „EU Pollinator Hub“ und die Ausbildung dringend benötigter Taxonom*innen sind wichtige Bausteine.

Schwebfliegen, wie die Frühe Großstirnschwebfliege, werden ab 2026 systematisch erfasst. (Foto: Helge May)
Doch klar ist: Messen allein reicht nicht – sonst haben wir nur Werkzeuge entwickelt, um den Rückgang genauer zu beobachten aber nicht, um ihm entgegenzuwirken. Die WVO kann nur Wirkung entfalten, wenn die Mitgliedsstaaten ambitionierte nationale Wiederherstellungspläne vorlegen – und wenn GAP- und MFR-Mittel gezielt auf Biodiversitätsschutz ausgerichtet werden.
Zwischen politischer Realität und ökologischer Notwendigkeit
Neue EU-Gesetze für den Insektenschutz sind kurzfristig nicht zu erwarten. Umso wichtiger ist es, das vorhandene Instrumentarium zu nutzen:
- WVO ambitioniert umsetzen – mit konkreten Zielen in den nationalen Wiederherstellungsplänen.
- Gelder aus GAP und MFR in ökologisch wertvolle und wirksame Maßnahmen für den Biodiversitätsschutz anstatt in pauschale Flächenprämien lenken.
- Bestehende Schutzgebiete wirksam managen und Biotopverbund fördern.
- Zustand und Trends der Insekten mit Monitoringdaten, Roten Listen und klaren Beispielen sichtbar machen und politische Handlung einfordern.
Die Wiederherstellungsverordnung ist derzeit der wichtigste politische Hebel für den Insektenschutz. Die EU hat damit den Rahmen geschaffen, der nun auch konsequent von den Mitgliedsstaaten durch nationale Wiederherstellungspläne umgesetzt werden muss. In Deutschland liegt die Verantwortung anschließend vor allem bei den Ländern.
Zugleich gilt es das bereits Erreichte im Insektenschutz politisch und gesellschaftlich zu verteidigen. Je länger wir warten, desto schwerer und teurer wird es, den Trend umzukehren. Die Zeit bis 2030 läuft.

4 Kommentare
Heinz Tüffers
29.08.2025, 18:46Ich ärge mich lmmer mehr wenn ich in der Natur bin wo die Insekten sind ?
AntwortenSuror, Peter, Dr.
30.08.2025, 13:43Sehr geehrte Damen und Herren, Als Landwirt stelle ich fest, dass sichPopulationen bestimmter Insektenarten von Jahr zu Jahr sehr stark verändern, sei es in dem sie zu- oder abnehmen. Dies ist wohl sehr stark von dem jährlichen Klimaverlauf abhängig. Klar ist auch, dass die praktische Insektenforschung derzeit ein Stiefkind bei den Naturwissenschaften darstellt und dringend verbessert werden muss. Insbesondere gilt es die Wirkungen der Klimatischen Veränderungen auf die speziellen Insektenarten zu erforschen. Dabei wird rauskommen, dass viele Arten aussterben müssen, weil sie sich nicht anpassen können, und bislang bei uns nicht bekannte Arten eine neue Heimat finden. Ein typisches Beispiel ist die Schilfglasflügelzikade, die beinahe auf die rote Liste gekommen wäre und jetzt entlang der von Flussklimata bestimmten Regionen im Übermaß vorhanden ist und bekämpft werden muss. Es gilt also zuerst die naturwissenschaftliche Forschung zu stärken.
AntwortenRuth Richter
14.09.2025, 12:49Wir haben in Roetgen-Rott eine europäische gottesanbeterin fotografiert. Sollen wir das irgendwo melden?
AntwortenLaura Breitkreuz
17.09.2025, 11:23Gerne auf www.nabu-naturgucker.de melden!
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