Ist allein das Wetter verantwortlich für das Insektensterben?
Insektenprobe aus dem NABU-Forschungsprojekt DINA. Foto: NABU/Sebastian Hennigs
18.10.2023: Kürzlich rauschte eine Meldung zum Insektensterben durch die Medienwelt: Eine neue wissenschaftliche Studie aus Deutschland suggeriert, dass das Insektensterben nur durch Witterungseinflüsse erklärt werden könne. Reaktionen hierzu, vor allem auch aus der Wissenschaft, folgten postwendend. Wie ist die neue Studie einzuordnen und welche Bedeutung hat sie für den Schutz unserer Insekten? Im Folgenden eine Einschätzung der Wissenschaftler*innen des NABU-Forschungsprojekts DINA.
Hintergrund – neue wissenschaftliche Veröffentlichung in Nature
Die aktuelle Studie mit dem Originaltitel Weather explains the decline and rise of insect biomass over 34 years (übersetzt: Das Wetter erklärt den Rückgang und Anstieg der Insektenbiomasse über 34 Jahre hinweg), welche am 27. September 2023 in der renommierten Fachzeitschrift Nature erschienen ist, erweckt den Eindruck, dass der Insektenrückgang in Deutschland und die Schwankungen der Insektenpopulationen nur durch Witterungseinflüsse erklärt werden können. Darüber hinaus steht in der Studie geschrieben, dass die gemessenen Insektenbiomassen in den letzten Jahren stark zugenommen und bereits wieder das Niveau von vor 30 bis 40 Jahren erreicht haben.
Ein Forscherteam um den Würzburger Universitätsprofessor Jörg Müller hat hierzu die bestehenden Daten aus der sogenannten „Krefeld-Studie“ neu analysiert, eigene neue Daten aus Bayern ergänzt und mit Wetterdaten verglichen, um daraus ein Modell zu errechnen. Die Erkenntnisse daraus: Witterungs-Anomalien – in Kombination und über mehrere Jahre hinweg – führen zu einer großräumigen und langfristigen Reduktion der Insektenbiomasse, wie sie in ihrer Pressemitteilung schreiben. Deshalb können nur große Insektenpopulationen, wie sie in genügend ausgedehnten und hochwertigen Lebensräumen zu finden sind, überleben. Die Forschenden plädieren daher für mehr hochwertige Lebensräume, welche sich durch standorttypische Pflanzen, hohen Reichtum an Landschaftsstrukturen oder extensive Landnutzung auszeichnen.
Was bislang bekannt ist zum Insektenschwund
Welche Fakten zur Thematik sind denn eigentlich bekannt? Insekten spielen aufgrund ihres Artenreichtums, ihrer Individuenzahl und somit ihrer Biomasse eine tragende Rolle in fast allen Ökosystemen. So sind sie beispielsweise elementar für die Bestäubung vieler Wild- und Nutzpflanzen oder für die Umwandlung und Zersetzung von organischem Material (und helfen somit der Bodenbildung und -fruchtbarkeit). Insekten stellen zudem eine wichtige Nahrungsgrundlage für andere Tiere wie Vögel, Fische oder Fledermäuse dar. Der Rückgang an Insekten schädigt daher ökologische Netzwerke erheblich und die Ökosystemleistungen nehmen ab. Dies hat potenziell gravierende Konsequenzen für Gesellschaft und Wirtschaft.
Im Jahr 2017 publizierten Insektenforschende aus den Niederlanden und Deutschland gemeinsam die oft als „Krefeld-Studie“ bezeichnete Arbeit, welche eine Abnahme der Insektenbiomasse um 75 Prozent über einen Zeitraum von 27 Jahren dokumentierte und somit bisherige Beobachtungen zum Insektenrückgang mit eindrücklichen Zahlen bestätigen konnte. Die Studie hatte ein sehr großes mediales Echo, welches die Problematik bis weit in die Politik hineintragen konnte. Daraus folgten weitere wissenschaftliche Studien zum Thema, darunter auch das vom NABU geleitete Forschungsverbundprojekt DINA (Diversität von Insekten in Naturschutz-Arealen) und mittlerweile ist sich die Wissenschaft sicher, die Haupteinflussfaktoren für den Insektenschwund identifiziert zu haben: Negative Folgen haben vor allem der Verlust und die Zerschneidung von Lebensräumen sowie die abnehmende Qualität der verbliebenen Habitate durch erhöhte Stickstoff- und Pestizideinträge, zudem die Folgen der Klimaerwärmung, Lichtverschmutzung sowie eingeschleppte invasive Arten, welche einheimische Arten verdrängen können. Dabei wird oft betont, dass der generelle Insektenrückgang auf ein Zusammenspiel vieler der oben genannten Faktoren zurückzuführen sei. Zudem weiß man schon lange, dass viele Insektenpopulationen auch natürlichen Schwankungen und Zyklen unterliegen. Bekannte Beispiele hierfür sind die Maikäfer-Flugjahre oder das Massenauftreten des Lärchenwicklers im alpinen Raum.
Mediale Wirkung der Studie
Kaum war die neue Nature-Publikation veröffentlicht, folgten auch schon Reaktionen auf diese. Interessanterweise wurde in vielen Medien die Studie kritisch aufgenommen und hinterfragt. Andere Wissenschaftler*innen wurden um ihre Einschätzung gebeten, manche Institute gaben sogar von sich aus Pressemitteilungen heraus, wie zum Beispiel das Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels in Bonn („Nicht das Wetter – wir Menschen verursachen das Insektensterben“). Der Landwirtschaft nahestehende Medien deuteten indessen die Studie eher positiv („Neue Studie entlastet Landwirtschaft – Insektenrückgang liegt oft am Wetter“). Interessant auch: Viele der Schlagzeilen waren oft sehr provokant, während die Texte dann doch eher moderat ausfielen und den Inhalt der Studie neutraler beleuchteten, egal aus welcher Perspektive. Diese regen Diskussionen haben das Thema Insektenschwund auf alle Fälle nochmals aufs Tapet gebracht.
Was sind die Hauptkritikpunkte an der Studie?
Aktuelle Ergebnisse aus verschiedenen anderen Forschungsprojekten in Deutschland, die mit den gleichen Methoden wie die Krefeld-Studie von Hallmann et al. (2017) durchgeführt wurden, deuten nicht auf eine generelle, massive Erholung der Insektenbiomassen hin. Eher ist das Gegenteil der Fall. So zeigen auch die Messungen aus unserem Forschungsprojekt DINA (Diversität von Insekten in Naturschutzgebieten) für die Jahre 2020 und 2021 an 21 Standorten über ganz Deutschland hinweg ein niedriges Niveau der Insektenbiomasse. Dabei wurden keine signifikanten regionalen Unterschiede festgestellt. Die Nature-Studie bezieht sich hingegen ausschließlich auf Messwerte der letzten Jahre aus Bayern, einer Region, für die es keine Daten gibt, die aus den Jahren vor 2016 stammen. Somit sind die Werte von Müllers Team auch nicht direkt vergleichbar mit den Zahlen aus der Krefeld-Studie, die ihrerseits nur Gebiete in Norddeutschland untersucht hatte. Zudem kamen zwar ähnliche, aber nicht identische Insektenfallen zum Einsatz, was nachweislich einen Einfluss auf die erfasste Biomasse hat. Die Forschenden rund um Müller haben zwar versucht, diesen Effekt herauszurechnen, trotzdem bleibt hier ein Unsicherheitsfaktor bestehen. Und selbst bei der Gewichtsbestimmung der Biomassen wurden nicht dieselben Methoden verwendet wie bei der Krefeld-Studie.
Außerdem wurden andere Faktoren, welche nachweislich Einfluss auf die Insektenbestände haben, komplett ignoriert. Unsere Resultate aus DINA zeigen einen deutlich messbaren negativen Effekt von Dünger und Pflanzenschutzmitteln, welche aus der umliegenden Landwirtschaft in die Naturschutzgebiete eingetragen werden, auf die Insekten- und Pflanzenvielfalt. Der Einfluss von Witterung und Klima auf die Insektenbestände ist unstrittig, darüber sind sich die Wissenschaftler*innen einig. Allerdings kann die Wirkung auch indirekt sein: So hat das Wetter beispielsweise auch auf zeitliche Abläufe in der Landwirtschaft erheblichen Einfluss, wie Zeitpunkt des Pflügens, der Aussaat und des Mähens genauso wie auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.
Schaut man sich die Modellrechnungen der neuen Studie genauer an, so erkennt man, dass die Wetterbedingungen nur für etwa 20 Prozent des Insektenrückgangs verantwortlich sind. Somit haben sie etwa die gleiche Bedeutung wie der Einfluss der vorhandenen Landschaftsstrukturen und der Landnutzung. Weshalb die Autor*innen der Nature-Studie im Titel nur das Wetter erwähnen, bleibt daher rätselhaft.
Wie kann nun den Insekten konkret geholfen werden, wo besteht Handlungsbedarf und welche Forderungen stellt der NABU?
Also alles nur ein Sturm im Wasserglas? Immerhin zeigen die Studie und die Reaktionen darauf, dass das Thema Insektenschwund nach wie vor aktuell, drängend und vor allem sehr komplex ist. Aus wissenschaftlicher Sicht wäre es besonders wichtig, dass die Methoden zur Erfassung der Insekten standardisiert werden. Nur so können Daten gut verglichen werden und aussagekräftig sein. Zudem sollten die Einflussfaktoren nicht isoliert, sondern verknüpft betrachtet werden. In der Praxis müssen Lösungsansätze für einen besseren Schutz der Insekten gemeinsam mit den daran Beteiligten aus Naturschutz, Landwirtschaft, Behörden und Politik gefunden werden.
Um Insekten in Schutzgebieten sowie außerhalb von diesen besser zu schützen, muss seitens der Politik einiges geschehen. Eine Chance ist die nationale Umsetzung des EU Nature Restauration Law, welches voraussichtlich Anfang 2024 vom EU-Parlament und dem Rat der EU verabschiedet wird. Hier werden Bestäuber explizit angesprochen (Artikel 8) und es wird das Ziel festgehalten, den negativen Trend der Insektenpopulationen bis 2030 umzukehren. Danach ist es die Aufgabe der Bundesregierung, diesen Auftrag der EU national in einen ordensrechtlichen Rahmen zu bringen, der Insekten besser schützt, als es bisherige Bemühungen, wie das Insektenschutzpaket, geschafft haben.
Deutlich wird auch, dass es eine Änderung in der landwirtschaftlichen Praxis geben muss, durch die der Einsatz von Pflanzenschutzmittel und Dünger deutlich verringert wird. Zur Umsetzung dieser Reduktion von Pflanzenschutzmitteln ist es notwendig, dass sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene für eine starke Richtlinie zur Pestizidreduktion (SUR – Sustainable Use of Pesticides Regulation) und auf nationaler Eben für eine ambitionierte Reduktionsstrategie einsetzt.
Nicht zuletzt bestätigt die Studie einmal mehr: Landschaftselemente und Flächen sind extrem wichtig für die Natur und den Schutz der Insekten sind. Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass ab dem kommenden Jahr vier Prozent der Flächen als Brachen oder Landschaftselemente bereitgestellt werden müssen.
Gastautor*innen: Sebastian Köthe, Gerlind Lehmann, Roland Mühlethaler (NABU-Forschungsprojekt DINA)
3 Kommentare
Hubert Schaller
20.10.2023, 16:46Sehr geehrte Autoren, besten Dank für die Bewertung der Studie von Müller et al.. Der Naturwissenschaftliche Verein Würzburg hat 2023 Bd. 57 eine Studie veröffentlicht über den verpassten Raupengipfel, der - wie vielfach behauptet - den Rückgang der Trauerschnäpper und zudem der Klappergrasmücken im Arbeitsgebiet der OAG Unterfranken in -Ufr. zur Folge haben könnte. Unsere Daten basieren u. a. auf 18-jährige Bestandserhebung des Trauerschnäppers und mehrjährigen Ermittlungen des Raupengipfels (caterpillar peak). Für die "Müller-Studie" spricht, dass heuer wegen der Wetteranomalie im April und Mai mit niedrigen Nachtemperaturen der Raupengipfel um 1 Woche später erreicht wurde und prompt die Reproduktionszahl der Halsband- und Trauerschnäpper erstmals wieder seit 2015 leicht nach oben ging. Zudem gab es einen für den Lkr. Würzburg sensationellen Brutnachweis des Steinschmätzers mit 2 Jahresbruten. Auch hier sehe ich einen Zusammenhang mit dem verschobenen Raupengipfel. Zudem wurden nicht wenige Weißbindige Wiesenvögelein noch in der 1. Oktoberdekade gefunden (W. Piepers, Dr. R. Hock, Biozentrum der Uni WÜ). Ein umfangreicher Kommentar von Dr. R. Hock geht auf die komplexen Regulatorien der Insekten-Menge ein wie z. B. den ebenfalls vom Wetter abhängigen Mahdzeitpunkt. Der Einfluss der Wetterphänomene schließt aber nicht aus, dass das anhaltende Insektensterben (Segerer) auch noch jene bekannten Ursachen hat, die Ihre NABU-Autoren anführen. Nochmals besten Dank für Ihre einsichtige Darstellung. Mit besten Grüßen aus Würzburg Hubert Schaller
AntwortenPia Godoy Carter
27.10.2023, 09:04Verantwortlich für das Insektensterben sind nicht nur Landwirte und die Pestizide und vielleicht das Wetter, hier wurden vergessen die Windräder. Der Nabu sagt nichts zu Windräder Projekte zum Beispiel Windräder in Waldgebieten, Bonner grüne Bürgermeister möchte Windräder bauen in Waldgebieten mit schöne Entschädigungen . Der Nabu sagst nichts dagegen, trotzdem Milliarden tote Insekten pro Jahr. BG
AntwortenRoswitha Hauck
10.11.2023, 00:19Ich beoachte seit einigen Jahren Insekten auf einer großen Ausgleichsfläche. Dort wurde vor Jahren ein Magerrasen und Blühwiesen mit vereinzelten heimischen Baumarten und Kleingewässer angelegt. Die gesammte Fläche wird eimal jährlich GEMULCHT, bis auf sehr kleine Bereiche, in die die großen Maschinen nicht hinkommen. In den Flächen selbst bleiben weniger als 10 % als Rückzugsort stehen. Früher wurde noch über einen längeren Zeitraum gemäht, doch seit dem Einsatz des Mulchers hat die Insektenmasse rapide abgenommen, und da dies bereits Mitte Aug. geschied, wird praktisch alles abgetötet. Leider ist das auf vielen landwirtschaftlich nicht genutzten Flächen der Fall, auch extra angelgte Randstreifen werden so bearbeitet. Man müßte auf den besonders für den Erhalt der Insekten bestimmten Flächen das Mulchen gesetzlich verbieten, ich glaube damit wäre sehr viel gewonnen. Zudem müßte eine Verpflichtung her, öffentliches Grün nicht tot zu pflegen. Mir ist jedenfalls aufgefallen, daß die Art und Weise wie die Schutzzonen für Insekten behandelt werden, genau das Gegenteil von dem erreichen was sie sollen, nähmlich den Insektenschwund fördern. Und dann wundert man sich warum es z.B. keine Schmetterlinge mehr gibt, weil niemand auf dem Schirm hat, daß die Raupen geschreddert werden. R.H.
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