Insektensterben – kurz nach zwölf?

Oder doch kurz vor? Wie dem auch sei: Die Handlungserfordernis ist dringender denn je

Beim gestrigen Fachgespräch der Grünen Bundestagsfraktion hatten die Zuhörer wieder einmal Gelegenheit, im Zuge der Experten-Vorträge den alarmierenden Zustand der Insektenwelt deutlich vor Augen geführt zu bekommen.

Die Schildbeinige Silbermundwespe war ehemals häufig vertreten. Heute ist auch diese Art vielerorts rückläufig (Foto: Lutz Wolfram)

Die Sachlage spricht für sich: In vielen Ländern der Erde stehen bis zu 40 Prozent der Wildbienenarten auf der Roten Liste (und das dürfte noch eine ziemlich konservative Schätzung sein, da die Datengrundlage oftmals unzureichend ist). Unzählige Hautflügler-Experten können dieses Bild durch jahrzehntelange Beobachtungen auch hierzulande nur bestätigen, wie NABU-Expertin Melanie von Orlow erwähnte. Wildbienenvorkommen sind immer schneller im Rückgang begriffen, sowohl auf Individuen- und Artenebene, und zunehmend auch Allerweltsarten. Besorgniserregend ist zudem die Tatsache, dass die Bedrohung auch vor Schutzgebieten, in welchen man ideale Lebensbedingungen erwarten dürfte, keinen Halt macht und möglicherweise ein Hinweis auf ökosystemare Beeinträchtigungen sein könnte, die durch Klimawandel und Pestizideinsatz hervorgerufen sein könnten. Bei der Haltung von Honigbienen sieht der weltweite Trend zwar insgesamt positiv aus, dennoch sind in der gesamten nördlichen Hemisphäre massive Völkerverluste zu vermelden.

So eindeutig die Bedrohungslage für die Insektenwelt ist – die Suche nach den zugrundeliegenden Ursachen gestaltet sich als weitaus komplexer und muss von Region zu Region, von Art zu Art unterschieden werden. Das macht auch die Entwicklung von Lösungsansätzen nicht einfach. Dennoch können fünf wesentliche Treiber ausfindig gemacht werden, die für den Insektenrückgang auf unterschiedlichste Weise verantwortlich sind: Strukturelle Verarmung der Landschaft, Pestizide, Krankheiten, Generosion und Klimawandel. Hierbei ließen es die Fachexperten nicht aus zu betonen, dass zwar alle Treiber ihren Teil zum Insektensterben beitrügen, die Lösungswege aber nicht an der Beseitigung natur- und umweltschädigender landwirtschaftlicher Bewirtschaftungsmethoden vorbeigingen. Die industriell geprägte Landwirtschaft sei der erste Adressat, durch welchen sich mit vertretbarem Aufwand Verbesserungen zeitnah umsetzen ließen.

Bei der erdrückenden Datenlast hunderter wissenschaftlicher Studien, die sich insbesondere seit dem auf vier neonicotinoide Wirkstoffe betreffenden EU-weiten Moratorium im Jahr 2013 anhäufte, scheint alles andere als ein endgültiges Verbot von Neonicotinoiden unverantwortlich zu sein. Das sollte auch bei EFSA mittlerweile angekommen sein, welche die Überprüfung mehrerer bienenschädigender Eigenschaften von Neonicotinoiden bis Ende 2017 abgeschlossen haben soll. Wie eine beim Fachgespräch vorgestellte neue von Greenpeace in Auftrag gegebene Studie zeigt, sind auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse die schädigenden Wirkungen nicht länger zu negieren: so können letale und subletale Effekte, die unter anderem durch die systemische Wirkung bei blühenden Pflanzen auf vielerlei Wegen ebenso Nicht-Zielorganismen belasten, auch durch Nicht-Kulturpflanzen hervorgerufen werden, die das in den Boden ausgewaschene Insektizid aufnehmen.

Auch in der Reformbedürftigkeit des EU-Zulassungssystems für Pestizide waren sich die Redner einig: die gegenwärtig der Überprüfung zugrunde liegende Methodik reiche bei weitem nicht dazu aus, um die vielfältigen schädigenden Effekte von Pestiziden risikoorientiert und im Sinne des Vorsorgeprinzips evaluieren zu können. Hier richtete sich der Apell eindeutig an die Politik, die grundlegende Weichenstellungen durch Druck auf die EU-Kommission ermöglichen müsse.

Letztlich und völlig zurecht wurde die momentane Ausrichtung der EU-Agrarpolitik diskutiert: so reichten das verpflichtende Greening oder weitere förderbare Naturschutzmaßnahmen bei weitem nicht dazu aus,  in der Agrarlandschaft den Rückgang von Insekten und anderen von ihnen abhängigen Tieren wie Vögeln aufzuhalten. Da traf die Metapher vom „Stühlerücken auf der Titanic“ den Kern des Problems europäischer Agrarpolitik: die millionenschweren Steuergelder finanzieren die Intensivierung einer Landwirtschaft, die nur wenigen Akteuren zu Gute kommt, zulasten von Natur und Umwelt geht und damit dem Untergang geweiht ist.

Dabei zeigt eine Anfang März veröffentlichte Studie aus Frankreich, dass der Einsatz von Pestiziden drastisch reduziert werden könnte, ohne betriebswirtschaftliche Einbußen befürchten zu müssen: anhand nahezu 1.000 untersuchter konventionell wirtschaftender Betriebe wurde festgestellt, dass auf gut 60 Prozent der gesamte Pestizidverbrauch um über 40 Prozent minimiert werden könnte, ohne dass die Produktivität und Profitabilität darunter litten. Der Einsatz von Insektiziden könnte bei gleichbleibendem Effekt sogar um 60 Prozent zurückgefahren werden.

Das gibt Grund zur Hoffnung und verdeutlicht einmal mehr die dringend notwenige Abkehr von der gegenwärtigen Ausrichtung der EU-Agrarpolitik, welche die Bauern viel zu unzureichend darin unterstützt, auf natur- und umweltfreundliche Produktionsmethoden umzustellen.

Till-David Schade
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7 Kommentare

Sabine Holmgeirsson

07.03.2017, 13:34

Hallo Till, das müsste noch viel mehr publik gemacht werden, denn selbst bei den NABU-Mitgliedern in den Ortsgruppen ist die Problematik noch nicht so richtig angekommen. Dabei muss klargemacht werden, dass jeder Einzelne durch sein Kaufverhalten durchaus Einfluss auf die Entwicklung der Situation nehmen kann.

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Maria Brunheim

09.03.2017, 20:11

Ich schließe mich der Überzeugung von Sabine an, dass jedeR Einzelne durch sein tägliches Kaufverhalten, durch die Ware, die auf seinem Teller, in seinem Trinkgefäß, in ihrem Kleiderschrank, in ihren Medikamentenlagern, in ihren Putz- und Waschmittelschränken, in ihrem Körperpflegesortiment verwendet wird, sehr sehr direkt beeinflussen kann, wie es um die Artenvielfalt allgemein bestellt ist. Durch unsere täglichen Konsumiergewohnheiten haben wir VerbraucherInnen ganz erhebliche Einflussmöglichkeiten, doch ich bin erschüttert wie wenig dies in professionellen und ehrenamtlichen Artenschutzverbänden bekannt ist und demzufolge nicht gelebt und umgesetzt wird! Es enttäuscht mich ausserordentlich, dies zu realisieren und ich kann Artenschutzverbände nicht ernst nehmen, deren MitarbeiterInnen nicht einmal wissen, dass der beste Artenschutz durch unser Konsumierverhalten bewirkt werden könnte - und das wird übersehen und verschlafen!!

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Dietrich Cerff

10.03.2017, 15:19

Unter der Auflistung der Ursachen vermisse ich die allgemeine Eutrophierung der Landschaft. Längst nicht nur die agrarischen lebensräume leiden unter einer Vereinheitlichung der Vegetation auf wenige N-liebende Arten. Mittlerweile werden über den Luftweg (Ammoniakausdünstungen aus der Massentierhaltung, Autoabgase) auch alle nicht-agrarischen Lebensräume in Mittleidenschaft gezogen: Wegränder, Hochstaudenfluren... In allen Waldlandschaften (außer den Alpen) sehe ich Nitrophyten in der Krautschicht, in den Wäldern, die ich über einen längeren Zeitrum kenne, deutlich zunehmend. In den Landschaften mit viel Massentierhaltung ist die Krautschicht schon zu über 95 % von Stickstoffzeigern geprägt - bis hin zu Brennessel, Klettlabkraut, Knoblauchhederich... Aus Forschungen in den Niederlande geht hervor, das sich die Blätter von Eichen biochemisch unter der Ammoniakdusche anders zusammensetzen. In der Folge kommt es zu einem deutlich reduzierten Raupenfraß. Ein "Durchpausen" auf weitere Glieder der Nahrungskette (Singvögel, Sperber) wurde zwar vermutet, konnte aber (noch) nicht gefunden werden.

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Angela Franke

10.03.2017, 16:32

Auch einen großen Einfluss übt doch die Lichtverschmutzung aus. Und wie steht es eigentlich mit der Mikrowellenbelastung. Da gibt es doch das interessante Experiment der jungen Schülerin mit Mehlwürmern und die Auswirkung von Mikrowellenstrahlen auf die Käfer. Offenbar verheerend. https://www.youtube.com/watch?v=jCzlPRRbz-I Wurde denn auch mal das Insektenaufkommen um Funkmasten herum untersucht?

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Ah Chi

10.03.2017, 20:39

Bauern und Politiker von Insektiziden abzubringen ist bestimmt schwierig. Vielleicht könnte man ja etwas Werbung für Blumenwiesen anstelle von Rasenflächen machen. Hier in RT werden alle Parks plattgemäht, obwohl sie kaum als Liegewiese genutzt werden. Einfach nur so, damit es ordentlich aussieht. Habe auf Mutters Obstwiese durchgesetzt, bis Spätsommer/Herbst nur Wege reinzumähen.

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Jonny

05.05.2017, 11:24

Eine sehr gute Alternative zu Insektiziden sind Vögel und Spinnen. Im richtigen Verhältnis Feldgröße/Brach- oder Hecken, halten sie die Schädlinge problemlos in Schacht. Insektizide = wenig (keine) Insekten = wenig Spinnen/Vögel = völlige Abhängigkeit der Landwirtschaft von der Chemie Die neuen Daten zum Rückgang der Insekten/Vögel sind schon erschreckend. Ist eine Umkehr von Chemie zurück zur natürlichen Schädlingsbekämpfung überhaupt noch möglich?

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enjoy

20.10.2017, 12:40

Mir fällt ein weiterer Bereich für den Rückgang von Insekten ein. In den Städten, Berlin z.B., werden immer mehr Grünflächen in reine Rasenflächen umgewandelt. Diese werden ständig gemäht, so dass Blumen und Blüten keine Chance haben. Sträucher werden nach und nach entfernt. Die Sträucher, die stehen bleiben dürfen, werden extrem zurecht geschnitten, und das mehrmals im Jahr. Auf diese Weise werden Biotope für Insekten, Vögel und anderes Getier systematisch vernichtet. Es wäre toll, wenn dafür ebenfalls Vorgaben gemacht würden, wieviel "Wildwuchs" stehen bleiben soll z.B..

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