Aufweichung des EU-Gentechnikrechts bedroht Natur, Landwirtschaft und Verbraucher*innen

Die Richtlinien für die Zulassung und Nutzung von gentechnisch veränderten Pflanzen werden auf EU-Ebene festgelegt – Foto: pixabay/dimitrisvetsikas1969

Die EU-Kommission hat am 5. Juli 2023 ihren Gesetzesvorschlag zur Neu-Regulierung von Pflanzen vorgestellt, die mithilfe der sogenannten Neuen Gentechniken erzeugt wurden. Ein Großteil dieser Pflanzen soll demnach wie konventionell gezüchtete Pflanzen behandelt werden. Vorsorgeprinzip, Risikoprüfung, Rückverfolgbarkeit und eine transparente Kennzeichnungspflicht würden für eine Vielzahl der neuen Pflanzen entfallen. 

Hoffnung auf eine nachhaltige Landwirtschaft durch schnelle Züchtungserfolge? 

Die Versprechen der Neuen Gentechnik klingen fast zu gut, um wahr zu sein. Mithilfe moderner biotechnologischer Verfahren soll Saatgut deutlich schneller und effizienter mit neuen Eigenschaften entwickelt werden als auf herkömmlichem Züchtungsweg. Das prominenteste Beispiel ist das CRISPR/Cas9-Verfahren, dessen Entwicklerinnen 2020 mit dem Chemie-Nobel-Preis ausgezeichnet worden sind. 

Große Hersteller versprechen Saatgut, das an Extremwetterphänomene wie Dürren oder Überschwemmungen angepasst ist oder Resistenzen gegenüber Pflanzenkrankheiten und Schädlingen besitzt. Dank stabiler Ernten könnte der Bildungs- und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) zufolge auch der Hunger in der Welt bekämpft werden. Bisher sind das nur Heilsversprechen. Den Beweis, dass mithilfe der Neuen Gentechniken erzeugte Saatgut tatsächlich zu mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft beiträgt, bleibt die Industrie bisher schuldig.

Trotzdem sieht die Europäische Kommission in den Neuen Gentechniken ein wichtiges Werkzeug, um die EU Green Deals und die Farm2Fork-Strategie durchzuführen. Doch bislang gibt es gibt eine Hürde: das bestehende EU-Gentechnikrecht.

 

Politische Einordnung: Wie ist der aktuelle Stand der Dinge? 

Die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen ist auf europäischer Ebene streng geregelt, aber dennoch nicht verboten. Die bisherige Rechtsgrundlage für die Gentechnikgesetzgebung ist die Richtlinie 2001/18/EG („Freisetzungsrichtlinie“). Sie besagt, dass alle gentechnisch veränderten Organismen dem strengen Rechtsrahmen für Gentechnik – wie zum Beispiel Sicherheitsanforderungen, Freisetzungsbeschränkungen, Rückverfolgbarkeit, Kennzeichnung, Haftung – unterliegen.  

 

Was sind die Pläne der Kommission? 

Die EU-Kommission stellte bereits 2021 in einer Studie fest, dass die strikten Anforderungen, die das Gentechnikrecht für die Risikoabschätzung definiert, an die mit den neuen Technologien hergestellten Produkte nicht gerechtfertigt seien. Deshalb soll der Umgang mit den Neuen Gentechniken (z. B. CRISPR-Cas) im Gesetzesentwurf der EU-Kommission nun gelockert werden.  

Der Gesetzesentwurf sieht eine Verordnung vor, die alle EU-Länder umsetzen müssen. Mitgliedstaaten hätten dann keine Möglichkeit mehr, zum Beispiel im Falle einer abweichenden Einschätzung des Risikos, eigene Maßnahmen zu erlassen. Änderungen an dieser Verordnung sollen zukünftig allein durch die Kommission vorgenommen werden. Bei solchen sogenannten „Delegierten Rechtsakten“ haben das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten kein Mitspracherecht mehr und werden bei künftigen Entscheidungen außenvorgelassen. 

Die EU-Kommission schlägt vor, Pflanzen, die mithilfe der Neuen Gentechniken hergestellt wurden, zukünftig in drei Kategorien zu unterteilen:  

Kategorie 1: Pflanzen, die an bis zu zwanzig Stellen des Erbguts gentechnisch verändert wurden, sollen dem Vorschlag zufolge wie herkömmlich gezüchtete Pflanzen behandelt werden. Hierbei gilt zu beachten, dass an zwanzig Stellen der pflanzlichen DNA beliebig viele Basenpaare eingefügt, ausgetauscht oder gelöscht werden dürfen. Das Kriterium – bis zu 20 Eingriffe in das pflanzliche Genom – lässt sich nicht wissenschaftlich nachvollziehen. Vielmehr wirkt die Zahl politisch oder willkürlich festgelegt.  

Die zur Kategorie 1 zählenden Pflanzen dürften jedenfalls ohne individuelle Risikoprüfung und ohne Zulassungsverfahren ausgebracht werden. Auch die Kennzeichnungspflicht und somit die Rückverfolgbarkeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette würde entfallen. Hersteller*innen müssten keine Nachweisverfahren bereitstellen. Anbau- und Koexistenzregeln, die Gentechnik-Kontaminationen – also die Vermengung von gentechnisch mit nicht-gentechnisch veränderten Pflanzen – sicher verhindern sollen, werden nicht definiert. Ebenso wenig werden verlässliche Haftungsregelungen zum Schadensausgleich bei Kontaminationen berücksichtigt.  

Die im Gesetz vorgeschlagenen Maßnahmen zur Transparenz, wie die Schaffung eines Melderegisters und die alleinige Kennzeichnungspflicht am Saatgutsack sind aus unserer Sicht nicht ausreichend.  

Alles in allem würden die vorgeschlagenen Maßnahmen also dazu führen, dass Pflanzen der Kategorie 1 völlig intransparent und unkontrollierbar in unser Saatgut, unsere Lebensmittelsysteme und in unsere Umwelt gelangen. Jegliche Schutz-, Kontroll- und Haftungsregelungen würden entfallen. 

Kategorie 2: Hierunter versteht die EU-Kommission gentechnisch veränderte Pflanzen, denen, vereinfacht ausgedrückt, an mehr als zwanzig Stellen im Genom Änderungen vorgenommen wurden. Diese sollen, anders als Pflanzen der Kategorie 1, entsprechend ihrem „Risikoprofil“ reguliert werden. Wie der Begriff „Risikoprofil“ im Detail definiert wird, bleibt unklar. Die EU-Kommission schlägt in diesem Zusammenhang vor, dass bei der Antragsstellung neuer Sorten von den Herstellern Risikoprognosen gestellt werden müssen. Nur bei „plausiblen Hinweisen“ auf Risiken soll eine umfassende Risikobewertung notwendig sein. 

Je nach Risikoprofil dürfen Pflanzen der Kategorie 2 dann ein erleichtertes Zulassungsverfahren durchlaufen. Auch die Pflicht zur Vorlage eines Nachweisverfahrens könnte ausgehebelt werden, sofern die Antragsstellenden belegen, dass ein solcher Nachweis technisch nicht umsetzbar wäre.

Pflanzen der Kategorie 2 sollen dennoch weiterhin als Gentechnik-Produkte gekennzeichnet werden müssen. Zusätzlich können bei solchen Pflanzen, die durch Gentechnik erzeugten Merkmale oder Eigenschaften angegeben bzw. hervorgehoben werden – allerdings auf freiwilliger Basis.  

Kategorie 3: Zu dieser Kategorie zählen all jene Pflanzen, bei denen in das pflanzliche Genom eingebracht wurden (Transgenese). Nur noch Pflanzen der Kategorie 3 sollen auch weiterhin nach dem bestehenden, strengen EU-Gentechnikrecht reguliert werden.  

Sonderfall Ökolandbau: Koexistenz-Probleme sind vorprogrammiert 

Im Ökolandbau sollen gentechnisch veränderte Pflanzen weiterhin verboten bleiben – auch solche der Kategorie 1, die im konventionellen Anbau wie herkömmliches Saatgut behandelt werden sollen.  

Aber Achtung: Für den Ökolandbau soll es, genauso wie für die konventionell gentechnikfrei-wirtschaftenden Landwirt*innen, keinerlei Möglichkeiten oder Vorschriften geben, um Kontaminationen mit gentechnisch-verändertem Saatgut zu verhindern. Da ein Großteil der Maßnahmen zur Rückverfolgbarkeit, zum Schutz und zur Haftung abgeschafft bzw. abgeschwächt werden sollen, sind Kontaminationen der gentechnikfreien Erzeugung demzufolge vorprogrammiert. Niemand weiß, ob auf den Nachbarfeldern gentechnisch veränderte Pflanzen wachsen. 

Die Regeln für diese Koexistenz definieren dem Entwurf zufolge die Mitgliedstaaten selbst. Sie sollen individuelle Maßnahmen entwickeln, um Kontaminationen von gentechnikfreien Erzeugnissen zu vermeiden. Doch das gestaltet sich schwierig, denn die dafür erforderlichen Voraussetzungen wie verpflichtende Nachweisverfahren, Rückverfolgbarkeit, Standortregister, Anbau- und Haftungsregelungen sowie die Umsetzung des Verursacherprinzips und das Monitoring werden auf europäischer Ebene immens eingeschränkt (Kategorie 2) bzw. abgeschafft (Kategorie 1). 

Mit diesem Vorschlag widerspricht die Kommission somit der EU-Öko-Verordnung und gefährdet den Ökolandbau. 

 

Freibrief für Patente auf Saatgut?

Der Vorschlag der EU-Kommission lässt die Frage, ob durch diese neuen Methoden gewonnenen Pflanzen patentierbar sind, unbeantwortet. Im Gegensatz zur konventionellen Pflanzenzucht sind sowohl die Verfahren als auch die Produkte der neuen gentechnischen Verfahren nach EU-Recht patentierbar (EU-Biotechnologie-Richtlinie 98/44). Espacenet, die Datenbank des Europäischen Patentamts, listet 700 Patentanmeldungen für „Crispr-Cas9 und Pflanzen“ auf – international wurden bereits mehr als 20.000 Patente eingereicht. Die Patente beanspruchen in der Regel alle Pflanzen mit dem neuen Merkmal, unabhängig davon, wie die Pflanzen gezüchtet wurden – auf diese Weise kann der Geltungsbereich der Patente auch für konventionell gezüchtete Pflanzen und bäuerliches, lokales und traditionelles Saatgut gelten, obwohl diese nach EU-Recht nicht patentierbar sind.  

Auch hier widerspricht der Vorschlag anderen europäischen Regelungen und Gesetzen. 

 

NABU-Position: EU-Gesetzesvorschlag ablehnen 

Protest vorm BMEL – Foto: Greenpeace/Paul Lovis/Wagner

Aus Sicht des NABU ist der Gesetzesvorschlag verantwortungslos und ungerecht. Das im europäischen Recht verankerte Vorsorgeprinzip wird auf diese Weise ausgehebelt. Der bisherige prozessorientierte Regulierungsansatz verschiebt sich zu einem produktorientierten. Die gentechnikfreie konventionelle und die ökologische Landwirtschaft wären durch die Deregulierung der Neuen Gentechniken massiv beeinträchtigt. Lasten und Kosten, um gentechnisch veränderte Pflanzen aus den bisher gentechnikfreien Warenketten herauszuhalten, lägen allein bei den betroffenen Landwirt*innen und Verarbeiter*innen. Risiken für die Umwelt und Biodiversität werden billigend in Kauf genommen.  

Zuletzt ist auch die Wahlfreiheit der Verbraucher*innen in Gefahr. Wir könnten nicht mehr selbstbestimmt entscheiden, was wir züchten, anbauen, verarbeiten und essen.  


20.11.2023 – In einem gemeinsamen Positionspapier zur Deregulierung der Gentechnik fordern 139 Verbände und Bündnisse aus der Land- und Lebensmittelwirtschaft, dem Umwelt- und Verbraucherschutz, der Entwicklungszusammenarbeit und Jugendbewegungen

  • die Sicherung der gentechnikfreien konventionellen und ökologischen Lebensmittelerzeugung,
  • den Erhalt von Wahlfreiheit und Transparenz für Verbraucher*innen,
  • den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen und
  • die weiterhin strikte Regulierung neuer Gentechniken.

 

Weiterführende Informationen und Hintergrundwissen

3 Kommentare

Ayleen

15.07.2023, 14:39

Ich bin so verzweifelt über diese Entwicklungen und frage mich, gibt es in der Zukunft noch irgendeine Chance, wenigstens in Teilen die Umsetzung zu stoppen, sich daraus zu retten und Pflanzen und Lebensmittel auf andere, natürliche Weise zu bekommen?

Antworten

Ayleen

15.07.2023, 14:46

Ich bin so verzweifelt über diese Entwicklungen und frage mich, gibt es in der Zukunft noch irgendeine Chance, sie wenigstens in Teilen zu stoppen, sich daraus zu retten und Pflanzen und Lebensmittel auf andere, natürliche Weise zu bekommen?

Antworten

Christian Straub

13.09.2023, 12:12

Gibt es keine Petition gegen das aufweichen der Gentechnik mit neuen Regeln?

Antworten

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