Die Niederlande und Großbritannien: Vorbilder der Agrarförderpolitik?

04.05.2023: Die aktuelle Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik (2023 bis 2027) ist gerade in Kraft getreten, doch die Verhandlungen über die nächste Periode ab 2028 haben bereits begonnen. Özdemirs Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) wird bis Ende dieses Jahres hierfür einen Vorschlag über die künftige Ausgestaltung der GAP zur Diskussion auf europäischer Ebene stellen.  Sicher ist, dass die GAP sich deutlich erneuern muss. Im Zentrum steht dabei vor allem die Umwandlung der pauschalen Flächenprämien in eine Honorierung öffentlicher Leistungen wie Biodiversitäts- und Klimaschutz und die damit einhergehende Anpassung des Ordnungsrechts. Lohnenswert ist daher ein Blick zu unseren europäischen Nachbarn, den Niederlanden und Großbritannien, die andere Wege der Agrarpolitik ausprobieren.

Das niederländische Punktemodell

Die Niederlande haben die zweijährige Übergangsphase der letzten GAP-Förderperiode (2021-2022) genutzt, um in einem Pilotprojekt ein alternatives Punktesystem für die Öko-Regelungen der 1. Säule zu entwickeln. Landwirt*innen können sich für ein dreistufiges Punktemodell qualifizieren, um entsprechend für Ökosystemleistungen entlohnt zu werden. Die Niederlande wurden hierfür in acht Regionen und zwei Gruppen eingeteilt, unter anderem entsprechend ihrer spezifischen Strategieplanziele, Geographie, Landschaft und Bodenbeschaffenheit. Ziel des Systems ist es die Basisqualität für Klima und Lebensraum zu stärken.

Landwirt*innen können aus einem 22 Maßnahmen umfassenden Katalog auswählen. Die Maßnahmen haben dabei völlig verschiedene Ambitionsniveaus. Das reicht von geringen Ambitionsniveaus wie das der Maßnahmen der Erntezeitpunkte oder der Aussaat von Klee bis hin zu Pufferstreifen mit Kräutern und Gehölzelementen. Jede Maßnahme wurde, mit Punkten versehen, die auf die fünf Schutzgüter Biodiversität, Klima, Boden und Luft, Wasser und Landschaft einzahlen. Für jedes Schutzgut und insgesamt müssen Mindestpunktzahlen erreicht werden, um überhaupt an dem Modell teilzunehmen. So wird sichergestellt, dass die Teilziele ganzheitlich und in ausreichendem Ambitionsniveau adressiert werden.

 

Abbildung 1: Quelle: GAP-Strategieplan Niederlande

Ist ein Betrieb qualifiziert, sieht das Modell nun drei Anspruchniveaus bzw. Stufen vor: Bronze, Silber und Gold mit den entsprechenden Einheitsbeträgen von 60€, 100€ und 200€. Diese Beträge können sich geringfügig erhöhen, wenn weniger Landwirt*innen als erwartet teilnehmen. So wird der Mittelrückfluss an die EU verhindert und voll ausgeschöpft, was einen weiteren Vorteil darstellt. Die Höhe der Zahlung wird letztendlich aufgrund eines „Rechtfertigungswerts“, der den Maßnahmen hinterlegt ist, getroffen. Die Zahlungen als Einheitsbetrag sollen den Aufwand für den gesamten Betrieb widerspiegeln, weshalb ein fester Hektarbetrag für alle Hektar eines Betriebs gewählt wurde. Das bedeutet, dass es für einen Betrieb entsprechend seiner Betriebsfläche und des dreistufigen Modells drei mögliche Beträge zur Honorierung von Öko-Regelungen gibt. Dieser Betrag kommt selbstverständlich auf die Basisprämie obendrauf. Schließlich soll durch Öko-Regelungen mit einem niedrigen Ambitionsniveau Landwirt*innen ein leichter Einstieg in das System der Öko-Regelungen ermöglicht werden und die Basisqualität, also in der Fläche, verbessert werden. Sofern kompatibel können auch mehrere Öko-Regelungen und AUKMs auf derselben Fläche gestapelt werden, welche sich dann Rebhuhn, Kiebitz und Co. widmen.

 

Abbildung 2: Quelle: Thünen-Institut

Die Vorteile neben einer ganzheitlichen Erfüllung der Ziele betreffend jedes Schutzguts und des vollständigen Ausschöpfens der EU-Gelder, ist, dass Landwirt*innen aus einem breiten Spektrum an Maßnahmen auswählen können somit mehr Freiheit haben, passende Aktionen für ihren Betrieb zu finden. Das Punktesystem sollte dabei auch über 2030 hinaus EU- und WTO-konform sein und – nicht zu vernachlässigen – geringe Verwaltungs- und Implementationskosten verursachen.

Großbritanniens Ausstieg aus den Direktzahlungen

Ein weiteres Land, in das es sich lohnt, einen Blick zu werfen, ist Großbritannien: 2020 aus der EU ausgetreten und damit auch aus der Gemeinsamen Agrarpolitik haben sie 2018 den sogenannten „Green Brexit“ in Aussicht gestellt, um ihren Agrarsektor umweltfreundlich und gesellschaftsverträglich in eine vermeintlich grüne Zukunft zu führen. Doch zumindest dem Abschmelzen der Direktzahlungen aus Brüssel haben sie sich angenommen.

2021 wurden in Großbritannien die Basic Payment Schemes als Ersatz der Direktzahlungen eingeführt, die bis 2027 degressiv auslaufen sollen. Hierfür wurden Reduktionschwellen in der Direktzahlungshöhe eingezogen. Das heißt, Betriebe, die insgesamt ein geringere entkoppelte Basiszahlung erhalten haben, werden prozentual anfänglich weniger stark reduziert als Empfänger großer entkoppelter Basiszahlungsbeträge. Ein Beispiel: Wer im Jahr 2020 noch 20.000 Pfund erhielt, bekommt 2023 nur noch 13.000 Pfund, eine Reduktion um 35 %. Auf der anderen Seite: Bekam ein Betrieb 2020 160.000 Pfund, so wurden 2023 noch 86.000 Pfund ausgezahlt, eine Reduktion um 55 %. Eine sinnvoll gestaltete Degression, die vor allem kleinere Betriebe in der Umstellung schont und große Betriebe stärker beansprucht.

Die hieraus gewonnenen Gelder werden – bis auf den Investitionsfond – 1:1 in die neu entwickelten Environmental Land Management Schemes (ELMs) gesteckt. Diese laufen unter dem Motto „public money for public goods“ und sind ähnlich wie die aktuelle GAP ebenfalls in drei Stufen bzw. Ambitionsniveaus unterteilt. Bei allen Anlaufschwierigkeiten und Unfertigkeiten des britischen Systems – zum Beispiel sind viele Maßnahmen noch gar nicht ausgerollt – kann das Abschmelzen der Direktzahlungen und vor allem das direkte Fließen dieser Gelder in ökologische Maßnahmen ein Vorbild für EU-Mitgliedstaaten sein. Denn so ließen sich Gelder planbar und gesellschaftlich verträglich umschichten, bei gleichzeitiger Steigerung der Bedeutung der Naturschutzleistungen für das Einkommen von Landwirt*innen.

Das Beispiel der Niederlande zeigt, dass auch in der jetzigen GAP schon weitaus ambitioniertere Ausgestaltungen als in Deutschland möglich sind. Hier wird ein Modell großflächig erprobt, dass auch für Deutschland ein echtes Vorbild sein kann. In Großbritannien hingegen sehen wir, dass ein politisch gewolltes und geplantes Abschmelzen der Flächenprämien auch in Kombination mit agrarstrukturellen Gesichtspunkten verknüpft werden kann.

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1 Kommentar

Inge M.

11.05.2023, 13:54

Vielen Dank für den tollen Beitrag! Es ist sehr spannend über die Agrarförderpolitik in anderen Ländern zu lesen. Vielleicht können wir von diesen Erkenntnissen ebenfalls profitieren.

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