REFIT – Das Steckenpferd der EU-Kommission
Derzeit konsultiert die Europäische Kommission die Öffentlichkeit im Rahmen eines „Fitness-Checks“ der Vogelschutz- und Fauna-Flora-Habitat- (FFH-) Richtlinie, den beiden zentralen Rechtsinstrumenten der Europäischen Union zum Schutz der biologischen Vielfalt. Diese Richtlinien sind das wesentliche Instrument zur Erreichung des großen Ziels, dass sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten, darunter Angela Merkel, auf ihrem Gipfel im März 2010 vorgenommen haben: den weiteren Verlust an biologischer Vielfalt (= Tier- und Pflanzenarten, Lebensräume, genetische Vielfalt der Arten) bis zum Jahr 2020 zu stoppen und geschädigte Ökosysteme (etwa Moore, wie unser Naturschatz Nr. 2), soweit das machbar ist, wieder herzustellen.
Der „Fitness-Check“ ist ein Teil von REFIT. Dieser Prozess („Regulatory Fitness and Performance“) wurde bereits von der alten EU-Kommission unter José Manuel Barroso beschlossen, ist also keine „Erfindung“ seines Nachfolgers Jean-Claude Juncker. REFIT umfasst alle Rechtsbereiche des EU-Rechts und soll dazu dienen, (angebliche) „bürokratische Hürden“ für die Industrie abzubauen und dem gerade von Medien gerne verbreiteten Vorwurf des „Bürokratiemonsters Brüssel“ zu begegnen. In diesem Rahmen wurden seit 2006 viele Richtlinien überprüft und knapp 300 Gesetzesvorschläge zurückgezogen, darunter sicher etliche entbehrliche, aber auch aus Umweltsicht wichtige Initiativen wie die Richtlinie zum besseren Zugang zu Gerichten sowie die Bodenschutz-Rahmenrichtlinie, nachdem sie auch von Deutschland im Ministerrat jahrelang blockiert worden war.
Ein “Fitness Check”, wie ihn auch die Wasserrahmenrichtlinie bereits durchlaufen hat, ist demnach zunächst ein durchaus üblicher Vorgang. Im vorliegenden Fall gewinnt er aber nicht nur durch das politische Umfeld der neuen Juncker-Kommission an Brisanz, die offenbar im Abbau von Umweltstandards ein „Allheilmittel“ zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums sieht. Was, nebenbei bemerkt, Unsinn ist, da selbst nach den Untersuchungen der sicher nicht als Umweltbefürworter „verdächtigen“ EU-Expertengruppe von Edmund Stoiber („Stoiber group“), die gesamte Umweltgesetzgebung der EU mit weniger als einem (!) Prozent der „bürokratischen Lasten“ zu Buche schlägt (Bericht zum Download (Englisch) – relevant ist Seite 20, 1. Absatz).
Brisanz erhält dieser „Fitness Check“ vor allem durch den Arbeitsauftrag Jean-Claude Junckers an den neuen Umweltkommissar Karmenu Vella, nicht nur eine Überprüfung der Richtlinien durchzuführen, sondern explizit auch das „Potenzial einer Zusammenlegung und Entwicklung zu einem moderneren Stück Gesetzgebung“ zu prüfen, was de facto der Öffnung der Richtlinien und ihrer Anhänge für einen Gesetzgebungsprozess im Europäischen Parlament, im Ministerrat (jeweilige Fachminister der Mitgliedstaaten) und im Europäischen Rat (der Staatschefs) ermöglicht. Der Ausgang solcher Verhandlungen ist völlig ungewiss, wenn man die geringe Priorität des Umweltschutzes für viele EU-Regierungen und die allgemeine Skepsis einiger Mitgliedstaaten gegenüber jeglichen EU-Regeln, insbesondere in Großbritannien, bedenkt! Es ist nicht überraschend, dass auch einschlägige Lobbyverbände bereits auf eine Schwächung des Naturschutzes hoffen, so zum Beispiel der Deutsche Bauernverband.
Darum ist es so wichtig, sich jetzt aktiv bei Jean-Claude Juncker zu melden. Über 100.000 Bürgerinnen und Bürger haben das in der letzten Woche bereits getan. Wie es geht, erfahren Sie hier.
Zur Deregulierungsagenda hier noch ein Beitrag vom Dezember 2014, den ich für den Deutschen Naturschutzring und publixphere geschrieben habe.
- Klima- und Naturschutz Fehlanzeige? - 31. Januar 2018
- Białowieża-Urwald: Europäischer Gerichtshof droht Polen mit Geldstrafe - 21. November 2017
- Pandas, Wisente und Kettensägen - 13. Juli 2017
3 Kommentare
Konstantin Kreiser
21.05.2015, 16:45Aktuelle Entwicklungen hierzu, gut aufbereitet vom Deutschen Naturschutzring, in einem Bericht der DNR-EU-Koordination
Antwortenpetra van aken
08.06.2015, 08:16Hallo, ich schließe mich der Meinung der Nabu an, Petra van Aken
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