Kirche im Dorf lassen – Luchs und Wolf gehören nicht ins Jagdrecht !

Luchs, Totfund (illegaler Abschuss) bei Buttstädt (Lkr. Sömmerda) 03.01.2022. Foto: Kripo Erfurt/Bundespolizei.

Luchs und Wolf kehren nur sehr zaghaft nach Thüringen zurück, doch die zahlreichen Todesfälle zeigen, dass die Rückkehr der Beutegreifer noch vor großen Herausforderung steht – eine Aufnahme des Wolfes und der Verbleib des Luchses im Jagdrecht ist irreführend und gesellschaftlich nicht tragfähig

Am 18. Mai 2022 wurden zahlreiche Interessenvertreter und Verbände zur Anhörung vor dem Umweltausschuss für Umwelt, Energie und Naturschutz des Thüringer Landtags zum Thema „Konflikte zwischen großen Beutegreifern und der Weidetierhaltung durch wirksamen Herdenschutz, finanzielle Entschädigung bei Nutztierrissen und durch wirtschaftliche Stärkung der Weidewirtschaft vermindern“ eingeladen.

Der NABU Thüringen hat in seiner Stellungnahme die bisherigen Möglichkeiten der Unterstützung für die Weidetierhalter in Thüringen gelobt. Mit der Scha-Zie-Prämie, dem KULAP, dem Herdenschutzhundepilotprojekt und der Förderrichtlinie Wolf und Luchs gibt es Instrumente, die die wirtschaftlich angeschlagenen Weidetierhalter konkret unterstützen und entlasten. Das Kompetenzzentrum für Wolf/Biber/Luchs und die TLUBN leisten überdies wichtige Arbeit bei der Rissbegutachtung, dem Monitoring und dem Management von Wolf und Luchs. Entscheidend ist nun, dass die neue, überarbeitete Förderrichtlinie Wolf und Luchs in Kraft tritt, die zukünftig auch die Förderung der Unterhaltskosten im Herdenschutz einschließt. Für die Zukunft wünschenswert ist die aktive Beteiligung der in der Fläche wirkenden Naturschutzverbände und Jäger im Monitoring. Dies würde die Datenlage zu Wolf und Luchs dauerhaft und flächendeckend verbessern. Überdies würde durch diese aktive Beteiligung das Vertrauen und die Akzeptanz in die Arbeit des Umweltministeriums gestärkt.

Seitens des Thüringer Landesjagdverbandes und des Thüringer Bauernverbandes wurde zur Anhörung die Aufnahme des Wolfes ins Jagdrecht gefordert. Einer Aufnahme des Wolfes ins Jagdrecht widerspricht der NABU deutlich, da der Wolf bereits dem Naturschutzrecht und damit dem Management des Umweltministeriums unterliegt. Der NABU Thüringen fordert, dass auch andere streng geschützte Arten wie Luchs und Wildkatze aus dem Jagdrecht entfernt werden. Die Jagd ist traditionsgemäß eine Möglichkeit der Wildtiernutzung, aber kein geeignetes Instrument des Managements unter Schutz stehender Arten. Zudem stagniert die Ausbreitung des Wolfes in Thüringen ohnehin. Erst zu Beginn dieses Jahres wurden gleich drei Wölfe auf Thüringens Straßen überfahren. Am Standortübungsplatz Ohrdruf sind von ursprünglich 8 Wölfen im Rudel, nur noch 3 vor Ort in der Region unterwegs. Im Januar wurde sogar ein toter, ursprünglich aus dem Harz stammender männlicher Luchs bei Buttstädt auf den Gleisen der ICE-Strecke aufgefunden, der nach Erkenntnissen der Kriminalpolizei Erfurt mittels eines gezielten Schusses in den Thorax getötet worden ist. Auch über die bislang in Südthüringen, bei der Hohenwartetalsperre, standorttreue Luchsin Mira ist seit Ende 2021 nichts mehr über deren Verbleib oder Aufenthaltsort bekannt. Auch Luchs Aslan bei Ilmenau ist verschollen. Wir müssen die Kirche einfach mal im Dorf lassen und anerkennen, dass wir aktuell noch viel in der Naturschutzarbeit für Luchs und Wolf zu tun haben, bevor wir von dauerhaften und gesicherten Wolf- oder Luchsvorkommen in Thüringen sprechen können. Eine Aufnahme des Wolfes und Verbleib des Luchses im Jagdrecht ist einfach absurd.

Lange haben Naturschutzverbände dafür gekämpft, dass zahlreiche gefährdete und bedrohte Arten und Lebensräume über die grundlegende FFH-Richtlinie 92/43/EWG geschützt und gefördert werden (RICHTLINIE 92/43/EWG DES RATES vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen). Hierunter fallen auch Luchs und Wolf. Die Mitgliedsländer der Europäischen Union haben sich in diesem Grundsatzpapier darauf geeinigt, dass auch vor dem Hintergrund des massiven Landverbrauchs und des Artensterbens, Luchs und Wolf (zukünftig auch der Braunbär) wieder natürlicher Bestandteil unsere Natur werden dürfen. Seit einigen Jahren streifen auch wieder Luchse und Wölfe – wenn auch sehr selten – durch Thüringen. Doch scheinbar ist dies einigen Interessengruppen und jagdlich motivierten Politikern schon deutlich zu viel. Sie fordern bisweilen „Regulierung“, „Schutzjagden“, „Obergrenzen“ und „Wolfsfreie Zonen“.

Aus objektiv fachlicher Sicht sind aber die Wolf- und Luchszahlen in Deutschland und insbesondere in Thüringen alles andere als stabil oder gesichert und weit entfernt von einem sogenannten „günstigen Erhaltungszustand“.

Die Standards zur Ermittlung eines günstigen Erhaltungszustandes ist in der FFH-Richtlinie 92/43/EWG definiert. Aus Sicht des NABU Thüringens sind Überlegungen zu von Menschen künstlich vorgegeben Wolfsgebieten oder „wolfsfreien Zonen“ irreführend. Wölfe sind hoch mobil und halten sich weder an Landesgrenzen noch an Wegweiser. Die natürliche Ausbreitung des Wolfes wird soweit voranschreiten, bis die ökologische Lebensraumkapazität in Thüringen und Deutschland erschöpft ist. Deshalb können auch weitaus mehr Wölfe in Deutschland leben, als theoretische Angaben von Mindestindividuenzahlen, die für den sogenannten „günstigen Erhaltungszustand“ als notwendig angesehen werden. Gleichfalls reguliert sich die Population durch natürliche Mechanismen, wie Beute- und Lebensraumverfügbarkeit und Krankheiten, sowie innerartliche Rivalitäten. Ohnehin kann man feststellen, dass Wölfe in etablierten Wolfsgebieten einer hohen Mortalität im Straßenverkehr und durch illegale Bejagung unterliegen. Laut der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) wurden seit dem Jahr 2000 in Deutschland insgesamt 740 Wölfe tot aufgefunden. 555 Wölfe starben durch Verkehrseinwirkung, 69 wurden illegal getötet, 10 legal im Rahmen des Managements, 67 Wölfe starben eines natürlichen Todes und bei 39 Totfunden war die Ursache unklar (Quelle: https://www.dbb-wolf.de/Totfunde, Stand: 14.04.2022).

Selbst die Annahme, nach Erreichen des „günstigen Erhaltungszustandes“ könne automatisch eine vormals bedrohte bzw. gefährdete Art ins Jagdrecht überführt und damit zur Jagd freigegeben werden, ist abwegig. Ganz im Gegenteil, durch diese gesellschaftlich längst überholte Sichtweise werden die hart erarbeiteten Ziele der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten im Natur- und Artenschutz ad absurdum geführt und faktisch zunichtegemacht.

Doch der Druck von jagdlichen Interessensgruppierungen, die den Wolf ins Jagdrecht überführen möchten, wächst. Unter fadenscheinigen und bisweilen scheinwissenschaftlichen Argumenten wird permanent versucht, den Wolf als unliebsamen Jagdkonkurrenten loszuwerden. Die Bemühungen dieser jagdlich motivierten Interessengruppierungen hierzu sind momentan auf allen politischen Ebenen groß. Es darf aber nicht Ziel der öffentlichen Politik sein, dass individuelle private jagdliche Interessen als Politikum im öffentlichen Raum missbraucht werden. Die breite Gesellschaft steht hinter der Rückkehr von Luchs und Wolf nach Deutschland und Thüringen. Entsprechende Umfragen geben Zustimmungswerte von mehr als 75 Prozent wieder. Das ist ein deutliches Signal an die Politik! Die Politik hat demnach ihr Handeln im Sinne vorrangiger gesellschaftlicher Interessen abzuwägen. Hierzu gehört es insbesondere eine Kultur des konfliktarmen Miteinanders von Mensch, Weidetieren und großen Beutegreifern zu schaffen und dies in erster Linie durch finanzielle und technische Unterstützung der Weidetierhalter und ihrer Herden selbst. Ein stumpfer Abschuss mit Blei und Schrot oder die Jagd auf Wölfe ersetzt weder die notwendigen Herdenschutzmaßnahmen, noch hilft es den Weidetierhaltern bei ihrer täglichen Arbeit. 

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https://www.nabu.de/news/2021/04/29860.html 

 

 

 

 

 

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