Lebensraumschutz ist notwendiger denn je !

Holzeinschlag im FFH-Schutzgebiet des Tautenburger Forstes durch staatlichen Forstbetrieb (2018). – Foto: Silvester Tamás

Geschützte Waldlebensräume sind immer mehr auch durch Eingriffe staatlicher Forstbetriebe bedroht

In den zurückliegenden Jahren verzeichnen wir einen dramatischen Rückgang an Arten und Lebensräumen. Um so wichtiger ist der Schutz der letzten verbliebenen Rückzugsräume und Refugien für unsere Flora und Fauna und das auch auf globaler Ebene. Aus diesem Grunde wurde durch die EU ein europaweites Schutzgebietsnetz eingerichtet und im Rahmen der NATURA 2000-Initiative umgesetzt. Lebensräume und Arten sind nach der zugehörigen sogenannten Flora-Habitat-Richtlinie besonders geschützt.

Wir erleben aber nunmehr, dass selbst in diesen geschützten Lebensräumen schwerwiegende Eingriffe selbst durch staatliche Forstbetriebe stattfinden und derart gravierend und verheerend sein können, dass die einst für diese Lebensräume festgelegten Schutzziele und -güter nicht nur massiv gefährdet werden, sondern auch verloren gehen.

Ein gravierendes Beispiel einer solchen Lebensraumzerstörung mussten wir in den vergangenen Monaten im Tautenburger Forst im Saale-Holzland-Kreis (Thüringen) feststellen. Hier wurden mittels Einsatz tonnenschwerer Holzerntemaschinen massive Schäden in einem FFH-Schutzgebiet von europäischer Bedeutung verursacht.

Der Tautenburger Forst im Saale-Holzland-Kreis nördlich von Jena ist ein über die Grenzen von Thüringen bekanntes Waldschutzgebiet von überregionaler Bedeutung im europäischen Schutzgebietsnetz NATURA 2000. Hier im Wald östlich des kulturell bedeutenden Mittleren Saaletals leben viele Arten, die streng geschützt und teils als vom Aussterben bedroht gelten. Nicht umsonst wurden weite Teile dieses einst als erhabener Hallenwald beschriebenen Forstes als FFH- und Naturschutzgebiet mit einer Fläche von mehr als 1100 Hektar ausgewiesen. Hierzu gehören auch die weithin bekannten und an Orchideen reichen Flächen der Gleistalhänge und der Hohen Lehde. Mit der Unterschutzstellung der Waldflächen im Tautenburger Forst hat der Freistaat Thüringen sowohl eine besondere Verantwortung auf europäischer Ebene für eine positive Gebietsentwicklung hinsichtlich der natürlich vorkommenden und geschützten Arten, als auch für den Waldlebensraum selbst übernommen. In der vergangenen Jahren, spätestens seit 2012, jedoch beobachten viele aufmerksame Naturfreunde und engagierte Naturschützer immer wieder massive und teils verheerende forstwirtschaftliche Eingriffe in den teils sensiblen und geschützten Waldabschnitten, die einst mit großen und mächtigen Buchen, Eichen und Elsbeeren bestanden. Mit schweren Holzerntemaschinen wurden dabei immer wieder auch alte und potentielle Habitatbäume wie stämmige Buchen und alte Eichen ohne Blick auf die bewohnenden Arten flächig gefällt. Den Eichen fehlt ohnehin eine erfolgreiche Verjüngung, trotzdem fallen gerade diese wertvollen stämmigen Samenbanken des Waldes den Kettensägen zum Opfer. Die teils als Wanderweg beschilderten Waldwege wurden dabei durch die tonnenschweren Holzerntemaschinen völlig unbenutzbar zerfahren, ja stellen vereinzelt sogar eine ernsthafte Gefahr für Wanderer und Naherholungssuchende dar.

Seit Jahren begleiten wir die forstwirtschaftliche Behandlung des Tautenburger Forstes mit großer Sorge und dokumentieren dabei einen erschreckend zügig voranschreitenden Verlust der Schutzqualität und -quantität, aber auch des Naherholungswertes. Immer wieder gab es Beschwerden und Termine. Hiernach gelobte man seitens der verantwortlichen Forstbewirtschafter Besserung und vor allem auch Einbeziehung des ehrenamtlichen Naturschutzes, um wenigstens bedrohte Arten, wie den Mittelspecht, Fledermäuse und Eremiten und deren Lebensräumen zu schützen. Absprachen scheinen nicht viel wert, Termine zur Abstimmung zwischen Forst und dem NABU gab es letztlich nicht, trotz wiederholter Anfragen und vorheriger Absprachen. Gleichfalls war auch vom behördlichen Naturschutz der Unteren Naturschutzbehörde so gut wie keine Intervention zu erfahren – trotz der desaströsen Zustände und des augenscheinlichen Artenverlustes. Auch Eingaben engagierter Bewohner der Region an die zuständigen Ministerien verhallten im Klein-Klein des Paragrafenalltags. Der Staatsforst beteuert bisweilen, man halte sich mit Blick auf die Nutzung an die Vorgaben. Wir Naturschützer jedoch stellen fest, dass es den erhabenen schönen Wald von vor 10 Jahren nicht mehr gibt. Die meisten lebenswerten Altbäume und hinreichend geeignete Habitatbäume sind verschwunden und offenbar der Brennholzgewinnung zum Opfer gefallen. Die noch verbliebenen Bäumchen werden immer dünner, einzelne Bereiche gleichen Kraut- und Spargelwälder, die Waldbodenflächen sind teils komplett abgetragen und damit auf mehrere hundert Jahre verloren, einzelne Waldabschnitte im FFH-Gebiet wirken umgegraben und teils verwüstet; sogenannte Rückegassen hinterließen tiefe Wunden und Furchen, beschädigen dazu noch Wurzelwerke angrenzender intakter Bäume; Waldwege sind zerfahren, schlammig und für die Naherholung völlig unbrauchbar gemacht.

Der Waldzustand hat sich spürbar und gravierend verändert – verschlechtert (!), einst nachgewiesene Mittelspecht- und Fledermausvorkommen sind verschwunden. Der Wald wird von den Anwohnern kaum noch gerne zur Naherholung aufgesucht, weil man sich über die Zustände ärgert und den Wald kaum noch für Wanderungen und Radtouren benutzen kann ohne im Schlamm zu versinken. Naturschützer beklagen das Fehlen eines hinreichend naturschutzfachlich begründeten Umgangs mit diesem Schutzwald europäischen Ranges. Der Tautenburger Forst ist zuerst auch Lebensraum für schutzbedürftige Arten und Naherholungsgebiet für die Menschen und nicht nur Holzdepot für eine scheinbar unersättliche Holzindustrie. Für die Naturschützer ist der in der FFH-Agenda verankerte Schutzgedanke für den Tautenburger Forst eine konkrete und klare Aufforderung zur Einhaltung der Schutz- und Entwicklungsziele, die der Freistaat Thüringen im Rahmen des europäischen NATURA 2000-Schutzgebietsnetzes verbindlich umzusetzen hat. So heißt es im vorliegenden Waldbehandlungskonzept für das FFH-Gebiet „Tautenburger Forst – Hohe Lehde – Gleistalhänge“: „In den NATURA 2000-Gebieten ist dafür Sorge zu tragen, dass die betreffenden Lebensräume und Arten in einem günstigen Erhaltungszustand gehalten bzw. in einen derartigen gebracht werden. So sind Vorhaben, welche die Erhaltungsziele erheblich beeinträchtigen können, untersagt.“ Das heißt, es gilt ein konkretes Entwicklungsgebot für die Schutzgebiete im Freistaat Thüringen!

Wenn wir zukünftig wieder Luchse und andere teils hochsensible geschützte Arten in unseren Wäldern zuhause haben wollen, dann braucht es eine Kehrtwende im Denken und im Umgang mit unserer Natur und dem Lebensraumschutz. Dafür setzen wir uns aktuell auch im Problemfall „FFH-Gebiet Tautenburger Forst“ ein. Wir haben Strafanzeige gestellt und die Ermittlungen laufen !

 

Silvester Tamás

Wolf, Wildkatze & Luchs in Thüringen
Koordinator Luchsprojekt
NABU Thüringen e.V.

Tel. 0 36 42 7 – 21 726
Tel. 0177 – 557 34 34

E-Mail: Silvester.Tamas@nabu-thueringen.de
Internet: https://thueringen.nabu.de/tiere-und-pflanzen/aktionen-und-projekte/luchs

 

 

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