Natura 2000: zähes Ringen um Meeres-Schutzgebiete

Hoch her ging es bei der gestrigen Anhörung der Verbände zu den Entwürfen des Umweltministeriums für die Naturschutzgebietsverordnungen in der AWZ von Nord- und Ostsee. Besonders Freizeitfischer und Meereswissenschaftler wehrten sich in Hamburg gegen jede mögliche Regulierung. Dabei ist das bisschen Verbot und Lenkung, das sich in den Entwürfen findet, viel zu wenig, um den Rückgang von Arten und Lebensräumen auch an unseren Küsten zu beenden. Die deutschen Umweltverbände haben koordiniert vom NABU eine gemeinsame Stellungnahme erarbeitet, die deutlich macht, dass die bisherigen Entwürfe an der massiven Übernutzung der Meere nichts ändern und den Verpflichtungen des nationalen und europäischen Umweltrechts nicht gerecht werden (weitere Informationen dazu HIER).

Foto: Felix Paulin

Foto: Felix Paulin

Meeresschutz verschoben und verschlafen

Immer wieder ist die Tage in der öffentlichen Diskussion die Rede von neuen Schutzgebieten. Fischer beschweren sich im Interview über die Ausweisung von zusätzlichen Schutzgebieten, Zeitungsartikel sind überschrieben mit „Neues Schutzgebiet im Fehmarnbelt“. Ein trauriges aber deutliches Signal, dass das Schutzgebietsnetzwerk Natura 2000, unter das auch ca. ein Drittel unserer AWZ fällt, in den Köpfen von Meeresnutzern, aber vielleicht auch der Öffentlichkeit nicht angekommen ist. Denn ausgewiesen wurden die insgesamt zehn Gebiete bereits 2004, durch die EU-Kommission bestätigt 2007, Verordnungen hätten sie 2013 erhalten sollen. Doch diese nationale Unterschutzstellung wurde versäumt, zerrieben im Streit der Nutzerressorts aus Wirtschaft, Verkehr, Fischerei mit dem federführenden Umweltministerium. Und so geriet es in Vergessenheit, dass Deutschland bereits vor mehr als elf Jahren eine gemeinsame Verantwortung zum Schutz der Biodiversität in Nord- und Ostsee übernommen hat.

Entwürfe greifen viel zu kurz

Die Liste der Kritikpunkte von Seite der Umweltverbände ist lang. Zu wenig soll verboten werden. Selbst Öl- und Gasförderung, CCS, Fracking und seismische Untersuchungen haben es nicht auf die Verbotsliste geschafft. Offshore-Windparks, Kies- und Sandabbau oder Kabelverlegung sind nach Prüfung erlaubt. Bleibt allein die Hoffnung, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung nach §34 BNatSchG Schlimmstes verhindern kann. Und auch die Berufsfischerei mit Grundschleppnetzen soll nicht über die Schutzgebietsverordnungen, sondern über die Gemeinsame Fischereipolitik der EU geregelt werden. Seit Januar 2015 läuft dazu ein Klageverfahren der Umweltverbände gegen die Bundesregierung. Kurz gesagt: Nahezu alles Nutzerressorts haben sich Vorbehalte für eigene Aktivitäten und die durch sie vertretenen wirtschaftlichen Interessen einbauen lassen. Und unter dem Druck des EU-Vertragsverletzungsverfahrens sollen zukünftig sogar die Bewirtschaftungspläne im Einvernehmen aufgestellt werden. Eine Aushöhlung der Ziele des BNatSchG, der Kompetenz des BfN mit dem klaren Ziel eines inhaltleeren Managements, dem Festhalten am Status quo der Übernutzung.

§ 57 BNatSchG muss novelliert werden

Als ein zentrales Hindernis bei der Unterschutzstellung der zehn FFH- und Vogelschutzgebiete in der AWZ – sechs Naturschutzgebiete sollen daraus erwachsen – beweist sich die Interpretation des § 57 BNatSchG. Ursprünglich bei der Novelle 2010 gedacht, das Seerechtsübereinkommen (SRÜ) in deutsches Recht zu überführen und Meeresschutz auch in der AWZ zu ermöglichen, wurden scheinbar so unglückliche Formulierungen gewählt und zusätzliche Ausnahmen z.B. für Kies- und Sandabbau oder Energiegewinnung verankert, dass ein effektiver Meeresschutz unmöglich wird. Eigentlich sollte man meinen, dass ein Naturschutzgebiet im Sinne des § 23 BNatSchG mehr können sollte als zwei Lebensraumtypen und gerade mal fünf Arten zu schützen.

Seehund - Foto: Christoph Randler

Seehund – Foto: Christoph Randler

Waren Schweinswal, Seehund und Kegelrobbe, Sandbänke und Riffe auch entscheidend bei der Ausweisung und Abgrenzung der Gebiete, ist die Vielfalt in diesen doch zum Glück weitaus größer. Konsequent wäre es also, wenn auch geschützte Fischgruppen wie Haie und Rochen oder zusätzliche Lebensräume, für die Deutschland im Rahmen der regionalen Meeresschutzübereinkommen OSPAR und HELCOM Verantwortung übernommen hat, oder auch die Anforderungen der MSRL gleicht mitberücksichtigt werden. Doch das war scheinbar unmöglich im Streit der Ressorts und so setzt man auf ein mehrstufiges, jahrelanges Verfahren inklusive einer Novellierung des BNatSchG. Ein riskanter Plan. Die Umweltverbände lehnen dies ab und fordern eine Synchronisierung beider Prozesse: Novelle § 57 und Natura 2000 Umsetzung im Gleichschritt.

Von Freizeitfischern und Forschern

Besonders laut ist der Protest einer sehr ungewöhnlichen Allianz von Naturschutzkritikern. Beide Gruppen verstehen sich selbst eigentlich als die „besseren Naturschützer“, lehnen aber jegliche Regulierung in den Schutzgebieten ab. Freizeitfischer malen das Bild vom einsamen Angler und ignorieren, dass inzwischen eine Armada von hochmotorisierten privaten Booten mit Schleppnageln und eine Flotte von kommerziellen Angelkuttern auf den Meeren unterwegs ist, die heute mehr als der Hälfte der deutschen Dorschquote aus der Ostsee zieht, ca. 4.000 Tonnen. Die Wissenschaft sieht ihr Grundrecht der freien Forschung bedroht. Sie stellt grundsätzlich in Frage, dass unser Wissen um den Zustand von Nord- und Ostsee ausreicht, um regulierend einzugreifen, und will das verhindern, was an Land längst Praxis ist: das Anmelden und Abprüfen der Forschung in einem Naturschutzgebiet durch die verantwortliche Naturschutzbehörde, hier das BfN. Eine Argumentation als hätte es die alarmierenden Zustandsberichte nach MSRL, FFH-Richtlinie und Rote Listen nicht gegeben.

In Brüssel hui, vor der Haustür pfui?

Großes Lob bekam die Bundesregierung jüngst noch von Seiten der Umweltverbände für ihren Einsatz beim sogenannten Fitness-Check, der Verteidigung der EU-Naturschutzrichtlinien in Brüssel. Klar war ihr Standpunkt: die Richtlinien sind gut, aber die EU-Mitgliedsstaaten wenden sie nicht an oder setzen zu zögerlich um. Nun aber wird sich Deutschland genau diese Kritik selbst gefallen lassen müssen. Zu groß ist der Unterschied zwischen dem was in Brüssel vertreten wird und was nun bei der Unterschutzstellung unserer wertvollsten Meeresgebiete stattfindet. Bleibt die Hoffnung, dass die Bundesregierung sich auf ihre eigenen Aussagen im Koalitionsvertrag und die naturschutzrechtlichen Verpflichtungen besinnt und den lauten Blockierern eines effektiven Meeresschutzes die rote Karte zeigt. Der NABU in Zusammenarbeit mit den anderen deutschen Umweltverbänden wird das Seine dazu tun.

1 Kommentar

Marina Hodapp

24.02.2016, 19:46

Danke für Alles was Ihr auf die Beine stellt, um die zu schützen, die es nicht selber können...

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