Game changers: Was braucht der europäische Naturschutz?

workshop titelZusammenfassung NABU-Workshop in Brüssel (Teil 2)

Im Oktober hat Bundesumweltministerin Barbara Hendricks mit ihrer Naturschutzoffensive einen beachtlichen Aktionsplan veröffentlicht, mit dem Deutschland das internationale 2020-Ziel zur Trendwende beim Artensterben erreichen soll. Allerdungs müssen die wesentlichen Weichenstellungen auf der Ebene von EU und Bundesländern erfolgen, auf die die Bundesregierung nur begrenzten Einfluss hat. Gerade auf „Brüssel“ richten sich derzeit große Erwartungen, denn im kommenden Jahr wird die EU-Kommission darlegen, womit sie die gefährdeten Lebensadern unseres Kontinents, die bedrohten Arten und Schutzgebiete, wiederbeleben will. Heibei braucht es nicht kosmetische, sondern tiefgreifende Veränderung. Worin diese „game changer“ bestehen könnten diskutierten am Dienstag auf Einladung des NABU Vertreter von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Verbänden in Brüssel, darunter Naturschutzpraktiker aus 19 EU-Staaten.

Die Veranstaltung, die gemeinsam mit BirdLife Europe und mit Unterstützung des Bundesamts für Naturschutz (BfN) sowie des Bundesumweltministeriums (BMUB) ausgerichtet wurde, basierte allerdings auf der Annahme, dass die EU-Naturschutzrichtlinien nicht im nächsten Jahr den Angriffen der „Entbürokratisierer“ um Kommissionspräsident Juncker sowie der Agrar- und Forstindustrie zum Opfer fallen würde. Denn damit würde eine Rettung unserer Naturschätze auf die lange Bank geschoben und zum Teil unmöglich gemacht.

Die Einführung der EU-Kommission in den Stand ihrer Überlegungen sowie die Verbändeforderungen zu Naturschutzfinanzierung finden Sie im bereits erschienen Blogbeitrag von Dienstag.

 

Infrastrukturplanung und Industrie: die Lernkurve muss steiler werden

Zwei beeindruckende Vorträge über Verkehrswegeplanung in der Slowakei sowie Artenschutz und Hafenentwicklung in Antwerpen sorgten für rege Diskussion. Tatiana Nemzova von unserem slowakischen BirdLife Partner „SOS“ zeigte detailliert auf, wie die dortigen Behörden zunächst versuchten sowohl das EU-Naturschutzrecht, als auch die Stimmen der Zivilgesellschaft zu ignorieren, und damit nicht nur einzigartige Naturschätze aufs Spiel setzten, sondern auch die Behebung der Verkehrsprobleme des Landes unnötig verteuerten und verzögerten. Ein vielbeachtete Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu einem ähnlich fatal umgesetzten Projekt in Ostpolen beschleunigte dann den Lernprozess in der Slowakei. Inzwischen gibt es dort Beispiele, die gut zeigen, dass sich Infrastrukturentwicklung und EU-Naturschutzrecht nicht ausschließen. Im Gegenteil: Die Naturschutzrichtlinien haben zu einer erheblich besseren Planungskultur geführt, was letztlich Geld spart und die Akzeptanz der Vorhaben erhöht.

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Tatiana Nemcova von SOS – BirdLife Slowakei (Foto: Konstantin Kreiser)

Das inzwischen international bekannte Beispiel des Hafens von Antwerpen stellte einer der Väter dieser Naturschutzkooperation vor, Peter Symens vom flämischen BirdLife Partner „Natuurpunt“. Nach einer Phase erheblicher, auch gerichtlicher, Konfrontationen zwischen den Befürwortern einer Hafenerweiterung und den Naturschützern setzte man sich an einen Tisch und entwickelte ein vorbildliches Projekt (hier mehr dazu auf Englisch). Die Hafenwirtschaft setzt seitdem aktiv (und erfolgreich) Maßnahmen für den Erhalt und die Erholung der Bestände von bedrohten Tierarten um, im Gegenzug kann sie mit Planungssicherheit und zügigen Genehmigungsverfahren bei der Entwicklung dieses zweitgrößten Hafens Europas rechnen. Es wäre zu wünschen, dass auch andere Häfen in Europa – wie z.B. der Hamburger – davon lernen.

In beiden Fällen wird klar – die Lernkurve wird erheblich steiler, wenn die Europäische Kommission nicht davor zurückschreckt, eklatante Missachtungen der EU-Gesetze notfalls auch per Gerichtsverfahren durchzusetzen. Vor allem aber brauchen wir dringend effektivere Dialogplattformen um Konflikten vorzubeugen und „best-practice“ auszutauschen.

 

Gesetze müssen befolgt werden – (k)eine Selbstverständlichkeit?

Im letzten Block des Nachmittags ging es um die weitverbreitete kriminelle Missachtung von Natur- und Artenschutzgesetzen und das Versagen vieler EU-Staaten, etwas dagegen zu tun. Daniel Pullan, Rechtsexperte vom größten Naturschutzverband Europas, der britischen Royal Society for the Protection of Birds (RSPB), zeigte die erschreckenden Ausmaße der Greifvogelverfolgung mit Fallen und Gift in Großbritannien. Mein NABU-Kollege Lars Lachmann trug mit nicht weniger traurigen Statistiken aus Deutschland bei: der von uns für 2015 erkorene Jahresvogel war wieder Ziel vieler Attacken. Noch wesentlich dramatischer, und aufgrund mafiöser Strukturen auch persönlich gefährlicher stellt sich die Arbeit der Kollegen von BirdLife Zypern dar. In keinen EU-Land werden pro Einwohner mehr Vögel illegal getötete, wie eine Studie von BirdLife International zeigt. Die Behörden bleiben fast tatenlos.

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Habichtfalle mit lebender Ködertaube (Foto: KGDV)

Den Einfluss der Politik verdeutlicht eine beeindruckende Untersuchung: In den Jahren, in denen sich Zypern um den Beitritt zur EU bemühte, ging die Zahl der illegalen Vogeltötungen deutlich zurück. Kaum hatte man die Mitgliedschaft „in der Tasche“, stieg sie wieder dramatisch an. Das zeigt deutlich, dass das Problem lösbar ist, wenn die EU-Kommission den Druck aud die EU-Staaten erhöhen würde. Ariel Brunner von BirdLife Europe wies darauf hin, dass der frühere Umweltkommissar Potocnik verbindliche Mindeststandards für Umweltinspektionen vorbereitet hat, die sein Nachfolger „im Prinzip morgen früh“ auf den Tisch legen könnte, wenn ihm dies Präsident Juncker und sein für die „Entbürokratisierung“ zuständiger Vizepräsident Frans Timmermans nur erlauben würde.

 

Geht nicht – gibt’s nicht: Technologie kann Naturschutzverstöße aufdecken

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Martin Wegmann, Uni Würzburg (Foto: Raphael Weyland)

Nach einer Kurzvorstellung des Projekts „European Network against Environmental Crime“ beeindruckte Martin Wegmann von der Universität Würzburg die Teilnehmer mit den heutigen Möglichkeiten der Satelliten-, Luftbild- und Radartechnik. In einer Vielzahl von Forschungsprojekten wurde gezeigt, wie mit immer besserer Auflösungen Veränderungen in der Vegetation durch Bebauung, Entwaldung oder landwirtschaftliche Aktivitäten untersucht werden kann. Das Problem: Während in Echtzeit die Abholzung des Amazonas per Satellit dokumentiert und für politische Gegenmaßnahmen genutzt werden kann, ist es den europäischen Naturschutzbehörden nahezu unmöglich, das illegale Umpflügen von Grünland oder die Bebauung von Natura-2000-Schutzgebieten zeitnah zu orten und etwas dagegen zu tun. Damit die von europäischen Steuerzahlern finanzierten Satelliten künftig für die Durchsetzung europäischer Gesetze genutzt werden können, ist eine engere Kooperation zwischen Wissenschaft und Naturschutz notwendig, sowie eine gehörige Portion politischer Wille…

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