Forderungen an die EU-Biodiversitätspolitik post-2020

BirdLife Europe veröffentlicht Position zur künftigen EU-Biodiversitätsstrategie

BirdLife-Position zur EU-Biodiversitätsstrategie post-2020. Copyright: BirdLife Europe

In Brüssel warten viele gespannt darauf, dass die neue EU-Kommission die Mitteilung zu ihrem „European Green Deal“ vorlegt. Hiernach kann und muss der europäische Gesetzgeber mit der Erarbeitung der eigentlichen Initiativen loslegen. Noch rechtzeitig vor der Veröffentlichung des „European Green Deal“ hat heute der NABU-Dachverband BirdLife Europe seine mit allen EU-Partnerverbänden abgestimmte Position zur zukünftigen EU-Biodiversitätsstrategie veröffentlicht (Link).

Die neue EU-Biodiversitätsstrategie soll von 2021 bis 2030 laufen. Kernelemente bzw. Hinweise auf die Struktur der Strategie könnten bereits in der Mitteilung zum „European Green Deal“ enthalten sein oder zumindest bis Frühjahr 2020 bekannt werden. Bis einzelne Instrumente (etwa zur Renaturierung) gegebenfalls durch gesonderte Rechtsakte verbindlich umgesetzt sind, dürfte indes noch ein wenig Zeit vergehen.

Das übergeordnete Ziel der EU-Biodiversitätspolitik ist klar: es gilt, den Verlust der Biodiversität zu stoppen, und darüber hinaus eine Trendumkehr zu erreichen. Was genau schlagen nun die Experten von BirdLife Europe vor? Wir haben wesentliche Forderungen des englischsprachigen Positionspapiers hier zusammengefasst.

A. Übergeordnete Zielsetzung („Mission targets“)

BirdLife Europe schlägt verschiedene Ziele auf übergeordneter Ebene vor. Spannend und ambitioniert ist z.B. das neue Flächenziel, bis 2030 auf EU-Ebene 30% der Fläche ausschließlich im Interesse der Biodiversität zu bewirtschaften.

  • Bis 2050 sind alle Arten und Lebensraumtypen der EU-Naturschutzrichtlinien in einem günstigen Erhaltungszustand, und die EU verursacht keinen Biodiversitätsverlust außerhalb ihrer Grenzen.
  • Bis 2030 werden 30% der EU-Land- und Meeresfläche mit Priorität für die Biodiversität geschützt oder gemanagt.
  • Bis 2030 haben mindestens 50% aller unter den EU-Naturschutzrichtlinien geschützten Arten und Lebensraumtypen einen günstigen Erhaltungszustand; keine Art und kein Lebensraumtyp wird sich – verglichen mit 2020 – weiter verschlechtert haben; es gibt keine unbekannten Status und Trends mehr.

B. Schwerpunktziele („Headline Targets“)

Neben diesen übergeordneten Zielen verteilen sich die Forderungen auf sechs Schwerpunktbereiche mit konkreten Unterzielen. Als eine der wesentlichen Neuerungen wird die Forderung nach einem verbindlichen „Renaturierungs-Ziel“ erachtet.

I. Durchsetzung der EU-Naturschutzgesetzgebung

  • Vollständige Umsetzung der relevanten Gesetzgebung, insbesondere der EU-Naturschutzrichtlinien und der EU-Wasserrahmenrichtlinie (implementation) und massive Verbesserung der Durchsetzung derselben (enforcement).
  • Bis 2025 hat die EU ein Fernerkundungssystem eingerichtet, um illegale Landnutzungsänderung in Echtzeit und öffentlich zugänglich zu erfassen.
  • Keine Zerstörung von geschützten Lebensräumen innerhalb und außerhalb der EU

II. Ökosystem-Renaturierung

  • Neue Gesetzgebung auf EU-Ebene mit verbindlichen Zielen für die Mitgliedstaaten zur Renaturierung von 15% der EU-Landfläche (=67 Mio. ha, Wald, Grünland, Moore, Feuchtgebiete). Schützt die Biodiversität und dient gleichzeitig der natürlichen Kohlenstoffbindung und dem Wasserhaushalt. Neben Natura 2000 ist dies ein wesentliches Instrument, um das 30% Flächenziel zu erreichen.
  • Renaturierung von mindestens 15% der AWZ der Mitgliedstaaten als nutzungsfreie Zonen im Meer.
  • Renaturierung von 15% der totalen Flusslänge der Mitgliedstaaten.

III. Adressieren der Treiber entlang der gesamten Wertschöpfungskette

  • Eine neue Landnutzungspolitik (10% „Space for Nature“ pro Betrieb, 30% Ökologische Landwirtschaft, Null Erosion, Null Netto-Flächenverbrauch).
  • Nachhaltige Nutzung der Ozeane (u.a. Null Beifang von geschützte und bedrohten Arten, keine nicht-selektiven Fischereitechniken, keine Grundschleppnetzfischerei, 100% Monitoring und Transparenz), Moratorium für Tiefseebergbau.
  • 30% Reduzierung der durchschnittlichen Pestizidanwendungen pro ha und des „Harmonised Risk Indicator“ um 30% verglichen mit 2020, schärfere Zulassungsverfahren, welche Auswirkungen auf die Biodiversität beachten, mindestens 10% jedes Betriebs frei von Pestizdanwendungen.
  • Listung der gefährlichsten 600 invasiven gebietsfremden Arten über die entsprechende EU-Verordnung.

IV. Konsum

  • 50% Reduzierung von Lebensmittelabfällen.
  • 50% Reduzierung des Konsums von Fleisch- und Milchprodukten.
  • 40% Reduzierung des Konsums von Fischereiprodukten.
  • 30% Konsum von Produkten aus ökologischer Landwirtschaft.

V. Finanzen

  • 15 Mrd. EUR im Jahr aus dem EU-Haushalt für den Schutz der Biodiversität an Land, ergänzt durch 5 Milliarden EUR aus den Budgets der Mitgliedstaaten.
  • 1 Mrd. EUR aus dem EU-Haushalt für Schutz und Management von marinen Natura 2000-Gebieten.
  • Mobilisierung von insgesamt mindestens 150 Mrd. EUR für die Renaturierung von Ökosystemen bis 2030, aus öffentlichen und privaten Quellen.
  • Ende von Anreizen, Subventionen und Investitionen, die biodiversitätsschädlich sind.

VI. „Governance“-Struktur

  • Rechtsverbindlichkeit der Ziele der Biodiversitätsstrategie (Biodiversitätsgesetz, ähnlich wie das geplante Klimaschutzgesetz der EU).
  • Meilensteine bis 2030 mit klaren Zwischenschritten.
  • Alle Kommissionsbehörden sind verantwortlich für die Umsetzung, neue Berichterstattungsverfahren und Verantwortlichkeiten.
  • Möglichkeit der Verschärfung und Beschleunigung von Zielen und Maßnahmen.
  • Steigerung der Ressourcen für die Durchsetzung der Umweltgesetzgebung.
  • Ein starkes globales Rahmenabkommen der CBD.

Diese Forderungen könnten dazu beitragen, dass die EU tatsächlich eine Führungsrolle weltweit beim Naturschutz einnimmt. Einen solchen Auftrag hatte die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in den Mandatsschreiben an den Umweltkommissar Sinkevicius und an den Vizepräsidenten Timmermans formuliert (siehe auch die Beiträge zur Vorstellung der Mandatsschreiben im September und zur Wahl der neuen EU-Kommission Ende November). Ob die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten es tatsächlich schaffen, das Jahr 2020 zum „Superjahr der Biodiversität“ zu machen, bleibt abzuwarten. Die Biodiversitätskonferenz in Kunming im Oktober 2020 (CBD COP15) bietet jedenfalls Anlass für einen „Paris Moment“ der Biodiversität.

Raphael Weyland
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