592 zu 52: EP klar für die Natur

Bild der Abstimmungstafel im Plenarsaal - Foto: MEP Martin Häusling

Bild der Abstimmungstafel im Plenarsaal – Foto: MEP Martin Häusling

Wie bereits in unserem Blog am vergangenen Donnerstag angekündigt und gestern Abend „live“ berichtet, hat das Plenum des Europaparlamentes (EP) den Initiativbericht zur biologischen Vielfalt, den nach dem Berichterstatter so genannten Demesmaeker-Report (A8-0003/2016), mit EU-Umweltkommissar Karmenu Vella diskutiert. Heute Mittag erfolgte die Abstimmung, in der die Abgeordneten dem Bericht mit einer überwältigenden Mehrheit von 592 Ja-, nur 52 Nein-Stimmen und 45 Enthaltungen (insgesamt 698 Abgeordnete von 751, namentliche Auflistung hier auf Seite 30-31) zugestimmt haben.

Mit dem EP hat sich jetzt also auch das einzige EU-Organ, das seine Legitimation direkt von der Wahl durch die Bürgerinnen und Bürger ableiten kann, eindeutig gegen die Pläne der EU-Kommission positioniert, die geltenden Naturschutzrichtlinien im Rahmen eines „Fitness Checks“ zu „modernisieren“. Da die von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker geplante „Modernisierung“ im Klartext auf eine Schwächung der Naturschutzstandards in der EU hinausliefe, ist sie mit dem Votum des Parlamentes nicht zu vereinbaren!

Bereits am 22. Dezember 2015 hatte der Umweltausschuss des EP in seinem Bericht darauf hingewiesen, dass die von den EU-Staats- und Regierungschefs im März 2010 beschlossenen Ziele zum Schutz der biologischen Vielfalt bis zum Jahr 2020 nur erreicht werden können, wenn die beiden Naturschutzrichtlinien als zentrale Säulen der Naturschutzpolitik der EU besser umgesetzt werden. Zudem müsse die Agrarpolitik der EU mehr zur Erhaltung der biologischen Vielfalt und zur Finanzierung des Naturschutzes beitragen.

Im Wesentlichen stimmten heute nur die Vertreter der EU-feindlichen britischen UKIP (United Kingdom Independence Party) gegen den Bericht. Aber sie stimmen aus Prinzip immer gegen alle EU-Bestimmungen und haben gestern Abend wieder deutlich gemacht, dass nach ihrer Auffassung die Mitgliedstaaten auch den Naturschutz viel besser national regeln könnten – obwohl gerade im Umwelt- und Naturschutz das Gegenteil gilt: Wasser- und Luftverschmutzung machen nicht an Grenzen halt, und auch der Schutz wandernder Tierarten wie Zugvögeln, Fischen oder Fledermäusen kann nur mit EU-weit einheitlichen Standards gelingen, wie sie Vogelschutz- und FFH-Richtline darstellen!

Aus NABU-Sicht ist natürlich besonders erfreulich, dass sich auch fast alle bei der Abstimmung anwesenden deutschen Europaabgeordneten eindeutig gegen die Öffnung der Naturschutzrichtlinien ausgesprochen haben. Lediglich zwei Abgeordnete der AFLA, je ein Abgeordneter der AfD und der Partei und sechs Abgeordnete von CDU und CSU stimmten gegen den Bericht.

MdEPs

Von oben nach unter: Norbert Lins (CDU, Baden-Württemberg), Dr. Peter Liese (EVP bzw. CDU) und Matthias Groote (S&D bzw. SPD) – Foto: European Union 2014 – Source : EP

Das ist nicht zuletzt dem Co-Berichterstatter (im Englischen „shadow rapporteur“) der Europäischen Volkspartei EVP, Norbert Lins (CDU, Baden-Württemberg), sowie der tatkräftigen Unterstützung durch die beiden Koordinatoren der großen Fraktionen im EP-Umweltausschuss („ENVI“) zu verdanken, Dr. Peter Liese (EVP bzw. CDU) und Matthias Groote (S&D bzw. SPD).

Ein kleiner „Wermutstropfen“ ist allerdings die Tatsache, dass Abgeordnete der EVP einigen wenigen Punkten des Demesmaeker-Berichtes nicht oder nur teilweise zugestimmt haben, die sich nach Auffassung von Norbert Lins allzu kritisch zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) geäußert hätten. Er plädierte gestern Abend dafür, dass es dafür zu früh sei, und man noch abwarten müsse, wie sich die letzte Überarbeitung der GAP aus dem Jahr 2013 auswirke.

Hier war auch in den Wortbeiträgen, etwa der österreichischen Konservativen Elisabeth Köstinger (ÖVP) – sie ist stellvertretende Vorsitzende des österreichischen Bauernverbandes – oder Ulrike Müller (Freie Wähler, Bayern) der Lobbyeinfluss der Landwirtschaft und Forstbesitzer zu spüren!

Ganz typisch und fast zu erwarten auch der Widerspruch der polnischen EP-Abgeordneten Jadwiga Wisniewska (ECR), die sich gegen Punkt 88 wehrte, in dem auf Vorschlag der Grünen die Mitgliedstaaten zum Verbot von Fracking aufgefordert werden. Polen sei auf Fracking angewiesen, weil es von russischen Importen unabhängig werden wolle, und Schäden für die biologische Vielfalt seien ihres Erachtens nicht zu befürchten. Sie verkennt dabei allerdings die Gefahren der Verseuchung des Trink- und Grundwassers sowie die aus den USA inzwischen bekannte vermehrte Auslösung von Erdbeben durch Fracking, die im viel dichter besiedelten Mitteleuropa verheerende Folgen haben könnten.

Insgesamt ist der Bericht aber vor allem ein starkes Plädoyer gegen die Öffnung der Naturschutzrichtlinien und für deren bessere Umsetzung (etwa Punkt 2, 17 und 65). Wenn man sich erinnert, dass im Herbst letzten Jahres im EP-Umweltausschuss (ENVI) über 370 Änderungsanträge („amendments“) vorlagen, von denen etliche zu einer massiven Verwässerung des Berichtes geführt hätten, kann man aus Umweltsicht sehr zufrieden sein. Besonders stolz können die Umweltverbände sein, dass die maßgeblich vom NABU-Dachverband BirdLife Europe koordinierte Aktion des „NatureAlert“ bleibenden Eindruck gemacht hat: Nicht nur der Demesmaeker-Bericht nimmt ausdrücklich Bezug auf den Erfolg der Aktion (Punkt 18), auch viele Redner in der gestrigen Plenardebatte sowie EU-Umweltkommissar Vella nannten die Zahlen der Bürgerbeteiligung als wichtiges Signal an EU-Kommission und Mitgliedstaaten, endlich zu handeln.

Die sozialdemokratische Abgeordnete und Co-Berichterstatterin ihrer Fraktion, Karin Kadenbach aus Österreich, brachte es daher gestern Abend auf den Punkt, als sie Vella aufforderte, endlich auf die besorgten Bürgerinnen und Bürger zu hören. „Die Bevölkerung steht hinter uns!“, so Kadenbach, und forderte Vella auf, endlich Vorschläge für eine bessere Umsetzung der Naturschutzrichtlinien und eine bessere Kontrolle der Umsetzung in den Mitgliedstaaten vorzulegen.

Enttäuschend ist dagegen, dass Umweltkommissar Vella sich trotz mehrfacher Aufforderung der Europaabgeordneten nicht eindeutig für die Erhaltung der Richtlinien ausgesprochen hat. Er versprach zwar in seiner Schlussbemerkung, dass sich die Kommission intensiv mit den Beschlüssen des EP und des Umweltministerrates befassen werde, wand sich aber vor einem klaren Bekenntnis zur Erhaltung der Richtlinien damit heraus, dass es nicht nur um seine Position gehe, sondern dass die Kommission ihre Empfehlungen „später im Jahr“ zum weiteren Vorgehen als Kollegialorgan aller 27 Kommissarinnen und Kommissare verabschieden werde.

Im Klartext: ob die EU-Kommission nach Abschluss des „Fitness Checks“ Vorschläge zur besseren Umsetzung oder doch im Sinne von Kommissionspräsident Juncker und seinem Vize Frans Timmermans eine Öffnung und „Modernisierung“ der Naturschutzrichtlinien empfehlen wird, ist eine politische Entscheidung, keine fachliche. Die Umweltverbände und die Zivilgesellschaft, aber auch unsere Volksvertreter werden daher das Thema weiter wachsam begleiten müssen. Und bis über die Vorschläge der Kommission in Parlament und Rat diskutiert und entscheiden werden kann, wird noch einige Zeit vergehen. Dabei zeigt nicht zuletzt der vom EP verabschiedet Bericht: Was wir jetzt brauchen, ist ein „Fitness Check“ der EU-Agrarpolitik und der bisherigen Subventionspolitik, mindesten ebenso intensiv wie der „Fitness Check“ der Naturschutzrichtlinien!

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